Katechese in fusionierten Gemeinden
Die Fusion oder das Zusammengehen mehrerer Gemeinden erzeugt häufig Verunsicherung und wirft Fragen auf: Das Alte ist vorbei, das Neue noch nicht richtig erkennbar und deshalb auch noch nicht tragfähig. Ausgesprochen oder stillschweigend haben viele Gemeindemitglieder Angst, in den neuen Strukturen die eigene Identität zu verlieren und heimatlos dazustehen. Nicht selten wird daher in fusionierten Gemeinden erst einmal an vielem festgehalten, solange es geht. So wird beispielsweise die "eigene" Erstkommunionvorbereitung wie bisher fortgeführt. Auch wenn einige der Ängste irreal erscheinen mögen, so sind sie doch vorhanden und müssen ernst genommen werden.
Gleichwohl gibt es viele in unseren Gemeinden, die Fusionen als Herausforderung annehmen. Im Hinblick auf die Katechese bieten Fusionen bzw. das verbindliche Zusammengehen mehrerer Gemeinden die große Chance, die bisher geleistete katechetische Arbeit nicht nur miteinander abzustimmen, sondern das gesamte katechetische Konzept zu überdenken. Es bietet sich die Gelegenheit, sich grundlegend mit den Zielen zu beschäftigen, die dem katechtischen Tun zugrunde liegen. Diese Überlegungen sprengen allerdings jedes Dienstgespräch hauptamtlicher Seelsorgerinnen und Seelsorger und jede Pfarrgemeinderatssitzung. Sie brauchen Zeit, und keine Gemeinde sollte sich hierbei überfordern. Es kann nicht alles sofort geschehen. Im Prozess darf es Zeiten des Übergangs und der Provisorien geben. Entscheidend sind die Weichenstellungen.
Der Beitrag wirft zunächst einen Blick auf die Ziele, die katechetisches Handeln motivieren, und streift anschließend kurz die Situation der Katechese heute, um dann im Hauptteil Schlussfolgerungen für eine veränderte Praxis zu ziehen. Die Ausführungen verstehen sich nicht als Arbeitsprogramm oder auf Vollständigkeit bedachte "Checkliste", sondern als Anregungen zum Nachdenken. Sie reichen über die Fragestellung der Fusion hinaus und berühren Grundfragen der Glaubensweitergabe.
Ziele der Katechese
In jeder Gemeinde kann auf dem katechetischen Feld immer noch mehr getan und angeboten werden als ohnehin schon. Es gibt immer neue interessante Projekte, die ausprobiert werden könnten, immer noch katechetische "Lücken", die "man" eigentlich schließen müsste. Doch kann es wirklich ein tragfähiges, d.h. Energien freisetzendes Ziel sein, katechetische Angebote zu vermehren? Kaum eine Gemeinde mit ihren schrumpfenden Ressourcen an Hauptamtlichen, an Ehrenamtlichen, an Geld und Zeit kann und will das. Vielen Maßnahmen auf dem Feld der Katechese liegt der Wunsch zugrunde, die Kirche zum Sonntagsgottesdienst wieder voll(er) zu bekommen. Geht es nur um den höheren Prozentsatz an Gottesdienstbesuchern und darum, dem deprimierenden Gefühl der Vereinzelung zu wehren, das durch den garstigen Anblick immer mehr leer bleibende Kirchenbänke hervorgerufen wird, dann ist sicherlich zu fragen: Kann dieser Wunsch zu planvollem katechtischen Handeln motivieren? Häufig steht ein viel tieferes Anliegen hinter dem Wunsch nach volleren Gottesdiensten: der Wunsch, dass Menschen die Beziehung zu Jesus Christus so wertvoll ist, dass es für sie eine Stärkung und Ausdruck ihres persönlichen Glaubens ist, in der Gemeinschaft mit anderen Eucharistie zu feiern. Dies ist ein motivierendes, aber auch ein sehr hoch gestecktes Ziel. Letztlich geht es sicherlich um genau dies. Von dorther sind dann die katechetischen Wege zu überlegen. Eine veränderte, "attraktivere" Gottesdienstgestaltung, die größere Kreise ansprechen soll, ist sicherlich wichtig, greift aber zu kurz. Die Fusion mehrerer Gemeinden zwingt dazu, sich Klarheit zu verschaffen: Was sind die grundlegenden Ziele in der Katechese? Wie sind sie theologisch zu begründen? Wie realistisch sind sie? Welche von ihnen genießen Priorität?
Katechese - professionell wie noch nie
Ein Blick auf die Situation der Katechese heute zeigt zunächst ein erfreuliches Bild: Seit den siebziger Jahren ist die Katechese immer professioneller geworden: methodisch und didaktisch dem jeweiligen Stand der Wissenschaft verpflichtet, weg von Unterricht und schulischen Vermittlungsformen, die im katechetischen Kontext zunehmend negativ bewertet wurden, weg von einer Frontalkatechese zugunsten von kind- und jugendgerechten Ansätzen eines ganzheitlichen Lernens mit Kopf, Herz und Hand. Die Vorbereitungsmaterialien sind ebenfalls immer besser und reichlicher geworden. Hauptamtliche haben sich fortgebildet, Ehrenamtliche sich schulen lassen, um diese Standards zu gewährleisten. Auf diesem Feld ist Wertvolles erreicht worden, hinter das niemand mehr zurück will. Eines hat mit dieser Entwicklung allerdings nicht Schritt gehalten: Das "Ergebnis" ist nicht im gleichen Maß immer besser geworden. Es gelingt auf diesem Weg immer weniger, Menschen den Glauben, den Gott Jesu Christi und eine in der Gemeinschaft der Kirche beheimatete Christus-Beziehung als Bereicherung und Geheimnis ihres Lebens zu erschließen. Wenn in den Familien noch nichts grundgelegt, gewachsen und gepflegt worden ist, kann eine Katechese diese Defizite in einem noch so professionell konzipierten Kurs nicht nachholen. Hinzu kommt, dass auch die Dauer der Vorbereitung keine Auswirkung auf das gerade genannte Ziel hat: Ob eine Kommunion- oder Firmvorbereitung ein Jahr oder drei Monate dauert, scheint für den Erfolg weithin irrelevant. Immer mehr desselben zu tun, reicht nicht aus, um die Not grundsätzlich zu wenden. Es greift im Kontext einer Fusion auch zu kurz zu schauen, welche der Gemeinden das "bessere" Konzept hat und dies dann für alle zu nehmen.
Ist es überhaupt noch sinnvoll, mit einem derart gewaltigen Aufwand an personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen Erstkommunion- und Firmkatechese so wie früher weiter zu betreiben? Die Frage wird in immer mehr Gemeinden verneint. Infolgedessen muss ein neues katechetisches Konzept erarbeitet werden. Dies ist zunächst einmal aufwändig und bindet viele Kräfte, wird aber durch die Hoffnung motiviert, dass die Zufriedenheit bei allen beteiligten steigt, weil es besser gelingt, das katechetische Grundanliegen zu verfolgen: Menschen in den Glauben einzuführen, ihnen darin Heimat anzubieten und so Kirche aufzubauen ("Katechese in veränderter Zeit", 2004). Die folgenden Punkte nennen schlaglichtartig notwendige Schritte auf dem Weg dorthin.
Grundlegende Einweisung in den christlichen Glauben
Alle Beteiligten sind sich weitgehend einig, dass die überwiegende Mehrzahl derjenigen, die in unseren Gemeinden um die Sakramente der Eucharistie, Firmung, Kindertaufe oder Eheschließung bitten, kaum noch etwas mitbringen an Glaubenswissen und -praxis. Eine persönliche Gottes- oder Christusbeziehung, die aus fundamentalen Glaubenserfahrungen gewachsen und gereift ist, haben wenige. Insofern kann eine Katechese, die diese Grunderfahrung vertiefen und entfalten will, hier nicht greifen. Was heute geboten scheint, ist eine mystagogische Grundeinführung in den christlichen Glauben, als lebendige Beziehung zu einer Person (Gott, Gott in Jesus Christus) auf dem Fundament des normativen Erfahrungswissens (Schrift, Tradition) einer Gemeinschaft durch Zeit und Raum, der Kirche, die ihren Ausdruck findet in der Feier (Gottesdienst) und im Lebensstil.
Vermutlich würden alle in der Katechese Tätigen sagen, dass sie seit eh und je genau dies mit ihrer Arbeit intendiert haben und dies deshalb nichts Neues sei. Das Anliegen ist so alt wie die Kirche selbst. Aber unsere gesellschaftlich-religiöse Situation hat sich inzwischen so sehr gegenüber volkskirchlich geprägten Zeiten gewandelt, sodass die Wege neu erkundet werden müssen, um sich diesem Ziel anzunähern. Im Glauben zu wachsen und erwachsen zu werden ist ein Prozess, der Zeit braucht, die niemand im Vorhinein abmessen kann. Die herkömmlichen Methoden einer Gemeindekatechese mit zeitlich fixiertem Kurssystem sind heute nicht mehr hilfreich. Wie kann man katechetische Angebote entwerfen, die den Prozesscharakter des Glaubens ernst nehmen, die auf Phasen und Stufen eingestellt sind und bei denen nicht schon am Beginn feststeht, dass ein bestimmtes Ziel, der Empfang des Sakraments, erreicht werden muss?
Glauben aus Entscheidung
Es ist inzwischen eine Binsenweisheit: Der christliche Glaube ist ein Angebot unter vielen. Wer es ergreift, tut dies aus persönlicher Entscheidung und nach einem mehr oder weniger langen Weg des Suchens. Die Suchenden sind anspruchsvoll. Sie geben sich nur mit Orientierung zufrieden, die mit Lebenserfahrung verbunden ist und authentisch angeeignet werden kann. Inwiefern stellt sich die Katechese darauf ein, diese Suchenden zu suchen und ihnen Angebote zu machen; Räume zu öffnen, in denen sie Erfahrungen mit Gott machen bzw. vertiefen und in ihrem Glauben wachsen können? Wie kann eine solche Entscheidung für den Glauben dann auch bekundet und gefeiert werden?
Entlastung durch Reduzieren und Differenzieren
Kommt somit nicht doch noch mehr Arbeit auf die Verantwortlichen in den Gemeinden - Haupt- wie Ehrenamtliche - zu? Wie soll das gehen? Wege zu einer grundlegenden Einführung in den christlichen Glauben sollen kein zusätzliches "Programm" zur Erstkommunion- und Firmkatechese sein, sondern eine Alternative: Die Suche geht nach Formen, in denen eine Erstkommunionkatechese (gleiches gilt für Firm- oder auch Taufkatechese) als eine solche Einführung konzipiert ist. Die notwendigen Ressourcen dafür sind sicherlich nur durch eine Reduzierung des Bisherigen freizusetzen. Mit Differenzierung ist allerdings nicht gemeint, beispielsweise die unterschiedlichen Firmvorbereitungen der fusionierenden bzw. zusammengehenden Gemeinden auf unbestimmte Zeit unverändert weiterlaufen zu lassen. Zu suchen wäre nach verschiedenen Angeboten für unterschiedliche "Zielgruppen". So kann es etwa mit deutlich vermindertem Aufwand getragene Basisangebote geben, die volkskirchliche Reste sympathisch begleiten und ihnen eine positive Erfahrung mit der Kirche ermöglichen, was immer noch etwas immens Wertvolles ist. Daneben muss es Wege für jene geben, die sich intensiver mit ihrem Glauben beschäftigen möchten. Differenzierte Angebote können nur in großen Gemeinden gelingen. Hier ist die Unterschiedlichkeit der einzelnen Gemeinden eine einmalige Chance, "bedarfsgerechte" katechetische Angebote zu machen - sei es im Hinblick auf die Neigungen der hauptamtlichen Seelsorger/innen, die Talente der Katechet/innen oder auch auf die religiösen Traditionen und die soziologischen Unterschiede der Gemeindemitglieder.
Glaubensweitergabe als Aufgabe aller in der Gemeinde
Die Weitergabe des Glaubens ist nicht allein die Aufgabe der hauptamtlichen Seelsorger/innen einer Gemeinde. Die Weitergabe des Glaubens fragt nicht nach Methoden und Mappen. Sie stellt an alle Christ/innen in den Gemeinden die grundlegende Frage: was lebt dort an Glauben, was wird bezeugt, was ist für neu Hinzukommende anziehend erlebbar als lebensnotwendiges Fundament und spirituelle Motivation für alle Aktivitäten, die das Gemeindeleben in "funktionierenden" Gemeinden kennzeichnen? Wo können in Gemeinden solche "Biotope" des Glaubens gefördert und beheimatet werden und welches Rollenverständnis Hauptamtlicher braucht es dazu?
Katechese eingebettet in ein Gesamtkonzept
In vielen Gemeinden wird Katechese blockweise angeboten: Es gibt die Vorbereitung auf die Erstkommunion und nach etlichen Jahren eine neue Einladung zum Empfang des Firmsakramentes. Dazwischen, davor und danach gibt es (fast) nichts. Damit Glaube aber die notwendige Zeit und die jeweils notwendigen altersangemessenen Impulse bekommt, um wachsen zu können, braucht es ein durchgehendes Netz an entsprechenden aufeinander bezogenen Angeboten, angefangen bei der Taufe bis hin zu Angeboten zur Glaubenssuche oder Glaubensvertiefung für Erwachsene. Das aufzubauen bedeutet viel Arbeit, die nur dann geleistet werden kann, wenn die in der Gemeinde Verantwortlichen bereit sind, an anderer Stelle etwas - vielleicht Liebgewordenes - aufzugeben. Das bringt fast zwangsläufig Schmerz und Konflikt mit sich, ist aber im Umkreis eines Fusionsprozesses, in dem sich alles wandelt, vielleicht noch am leichtesten einsichtig zu machen. Was kann in den "Zwischenzeiten" geleistet werden, wie können Ehrenamtliche dafür gewonnen werden, wie viel hauptamtliche Kraft kostet es zunächst, um es auf den Weg zu bringen?
Zahlen neu bewerten
Manchmal schwingt Stolz mit, wenn ein Hauptamtlicher in Zeiten schwindenden Kirchenbesuchs und Sakramentenempfangs berichtet, von 100 angeschriebenen Firmlingen seien 70 gekommen. Doch sind 70 gefirmte Jugendliche dort besser als zehn anderswo, die nach einem gemeinsamen Weg aus persönlicher Überzeugung vor den Bischof treten? Ist ein Kurs zur Glaubensvertiefung, an dem "nur" neun Erwachsene aus einer Gemeinde mit 6000 Gläubigen teilnehmen, ein Misserfolg? Auch dies ist eine Binsenwahrheit: Zahlen sagen nichts über den "Erfolg" und die Qualität von Katechese. Vieles spricht dafür, dass die Sammlung der Suchenden eine Sache eher kleiner Zahlen ist und daher in großen Gemeinden eher gelingen kann. Dass kann auch bedeuten, um der genannten Neun willen weniger Zeit und Aufwand für 80 Erstkommunionkinder und ihre Eltern zu investieren und das rechtfertigen zu müssen: Was hat Priorität?
Die Priorität auf die Suchenden bzw. auf die Ermöglichung von Wachstumsprozessen im Glauben zu legen und dafür anderes, nicht mehr Zukunftsweisendes zu reduzieren, ist eine Entscheidung, die jede Gemeinde für sich treffen und verantworten muss, die sich aber getragen weiß von der Grundzustimmung der deutschen Bischöfe. In ihrem Papier "Katechese in veränderter Zeit" (2004) bezeichnen sie den "Katechumenat (Erwachsener) als Grundmuster für die Katechese" (S. 15) und sprechen sich dafür aus, die "Erwachsenen neu im Blick" zu haben (S. 18). Christlicher Glaube kann heute nur als Angebot vor die Menschen gebracht werden, das um Zustimmung wirbt (S. 12). Die Zeiten, in denen der Glaube wie ein Paket weitergegeben werden konnte (wenn es die denn jemals gegeben haben sollte) sind vorbei. Insofern ermutigen die Bischöfe zu einem Paradigmenwechsel in der (Sakramenten-)Katechese.
In eine ähnliche Richtung weist die Veröffentlichung "ZeitZeichen" von Bischof Reinhard Lettmann (2006): Die Besinnung auf das Wesentliche des Glaubens soll helfen, Prioritäten zu setzen, und das heißt gleichzeitig, etwas anderes hinan zu stellen und mit weniger Aufwand zu tun, um Kapazitäten für das Erste und Wichtige zu gewinnen. Eine Fusion bietet allen beteiligten die Chance, gemeinsam (neu) festzulegen, was das Erste und Wichtigste auf dem katechetischen Feld sein soll.