Die Offenbarung des Gottesnamens im brennenden Dornbusch
Gott, der Freund des Lebens – als „Leit-Melodie“ des christlichen Glaubens
Gott, der Befreier – und ein Glaube, der sich im Einsatz für Humanität bewährt
In den Spuren von Jesus von Nazaret: neues Sehen, neues Handeln, neues Daseinsgefühl
Im Zentrum: ein Gekreuzigter
Der Auferstandene – und unser „Aufstand“ für das Leben
Inspiriert leben – Was die Nähe Gottes und des Auferstandenen bewirken kann
Die (Initiations-)Sakramente: Tankstellen und Kraftwerke
Wie Glaube am Leben bleibt und am Leben hält: das Vaterunser
Du bist eingeladen: der Weg durch das Kirchenjahr
Die Begleitung Erwachsener auf ihrem Weg zum Christ-Werden ist längst kein Sonderfall oder keine exotische Ausnahme mehr in der kirchlichen Arbeit, sondern eine Aufgabe, der sich viele Pfarren – sowohl auf dem Land wie auch in der Stadt – seit Jahren stellen. Eine Frage, die dabei erfahrungsgemäß immer wieder von jenen Personen aufgeworfen wird, die Katechumenen in den Glauben einführen, ist: Welche Inhalte sollen behandelt werden? Was muss alles „abgedeckt“ sein, damit die Taufe gespendet werden kann? Wieviel müssen die TaufkandidatInnen eigentlich wissen, um zu den Sakramenten zugelassen zu werden?
Plädoyer für einen „kleinen“ Glauben
Vielleicht hilft bei der Auseinandersetzung mit diesen Fragen ein Blick in das Neue Testament, genauer hin ein Blick auf jene Stelle, wo Jesus von der Größe des Glaubens spricht bzw. von dessen Kleinheit: „Wenn euer Glauben auch nur so groß wäre wie ein Senfkorn …“ (Lk 17,5-7).
In dem Buch „Nachtgedanken eines Beichtvaters. Glaube in Zeiten der Ungewissheit“ nimmt der tschechische Priester und Psychotherapeut Tomáš Halík bei seinem Plädoyer für eine „kleinen“ Glauben auf diese Stelle Bezug. Er ermutigt, sich vom Ballast eines zu groß gewordenen Glaubens zu trennen. Denn Tiefe und Lebensnähe, Lebendigkeit und echte Inspiration können durch „zu viel“ Glauben allzu schnell verstellt werden.
„Möglicherweise ist auch unser Glaube durch vieles überhäuft worden …: von unseren persönlichen Vorstellungen, Projektionen und Wunschvorstellungen …, sodann von allzu menschlichen Erwartungen, auch durch unsere Definitionen und Theorien, durch die Welt unserer Märchen und Mythen und schließlich durch ‚billige Glaubensvorstellungen‘. Es kann ja sein, dass wir immer noch nicht genug davon haben und noch eins drauflegen wollen: Gib uns doch ein Mehr an Glauben, mehr Sicherheit und Absicherung gegen die Kompliziertheiten des Lebens! Doch Christus sagt: ‚Habt den Glauben Gottes!‘ Nicht diesen ‚menschlichen‘ …“. (S. 41)
Mit der „Frische des Evangeliums“
Dieser kleine Glaube darf nicht mit „Leichtgläubigkeit“ oder Oberflächlichkeit verwechselt werden. Denn Menschen wenden sich früher oder später vom Glauben ab, wenn sie das Christentum bloß infantilisierend in trivialer oder simpler Form erleben. Wenn man den Eindruck bekommt, ohnehin schon alles zu wissen bzw. zu kennen und nicht mehr herausgefordert bzw. überrascht wird, fehlt etwas.
Papst Franziskus fordert in seinem Apostolischen Schreiben „Evangelii gaudium“ in diesem Sinn auf, „langweilige Schablonen (zu) durchbrechen, in denen wir uns anmaßen, ihn (Jesus) gefangen zu halten“. Franziskus macht Mut, sich dementsprechend von Gottes Wort inspirieren zu lassen. „Jedes Mal, wenn wir versuchen, zur Quelle zurückzukehren und die ursprüngliche Frische des Evangeliums wiederzugewinnen, tauchen neue Wege, kreative Methoden, andere Ausdrucksformen, aussagekräftigere Zeichen und Worte reich an neuer Bedeutung für die Welt von heute auf.“ (Abs.11)
Das Seichte meiden
Glauben erfordert Mut! Treffend formuliert Tomáš Halík: „Wer den lebendigen Gott suchen will und Christus wahrlich nachzufolgen gedenkt, muss den Mut aufbringen, über der Tiefe zu schwimmen und nicht im seichten Gewässer. Gott ist nämlich die Tiefe, und im Seichten gibt’s gar nichts.“(S. 88) Wer in den Glauben eingeführt wird, wird also in die „Welt der Tiefe“ eingeführt. Das geht aber nur dann, wenn man den GlaubensvermittlerInnen selbst etwas von dieser Tiefe bzw. diesem Tiefgang (Jesu) ansehen kann.
Und Paul Tillich betont:
„Das meiste in unserem Leben bewegt sich auf der Oberfläche. Wir sind von Routine umgeben, die in unserem Alltag, bei der Arbeit, beim Vergnügen, im Beruf und in der Entspannung herrscht. .... Wir werden mehr getrieben, als dass wir treiben … Gehetzt und gejagt, verletzen wir unsere Seele durch die Hast mit der wir uns auf der Oberfläche bewegen … Deshalb verfehlen wir unsere Tiefe und unser wahres Leben. Jene Tiefe ist es, die mit dem Wort Gott gemeint ist. Und wenn das Wort (Gott) für euch nicht viel Bedeutung besitzt, so übersetzt es und sprecht von der Tiefe in eurem Leben, … von dem, was euch unbedingt angeht, von dem, was ihr ohne irgendeinen Vorbehalt ernst nehmt. Wenn ihr das tut, werdet ihr vielleicht einiges, was ihr über Gott gelernt habt, vergessen müssen … Denn wenn ihr erkannt habt, dass Gott Tiefe bedeutet, so wisst ihr viel von ihm. … Wer um die Tiefe des Lebens weiß, der weiß auch um Gott“.
(Paul Tillich, In der Tiefe ist Wahrheit, 1952).
Von der Weite und Tiefe Gottes kosten
Dementsprechend geht es beim Kennen-Lernen und Einüben des Glaubens nicht primär um das Erlernen eines Gegenstandes oder irgendwelcher Sätze. Solange christliche Verkündigung nicht ernst nimmt, dass Gott selbst die Tiefe jeglicher Wirklichkeit ist, besteht die Gefahr, anstelle einer Sinneröffnung für die Tiefe nur im (oberflächlichen) Wiederholen von Sätzen zu bleiben, ohne aber von der Weite und Tiefe Gottes und eines davon inspirierten Lebens selbst „gekostet“ zu haben. Glaubensvermittlung kann daher gar nicht anderes heißen als zu einer Spurensuche einzuladen: in den Spuren Jesu – und in den Spuren der Menschen des Alten wie des Neuen Testaments – einen Zugang zu jener Weite und Tiefe zu finden, die mit dem Glauben, dem Vertrauen, der Offenheit gegenüber Gott einher geht.
Eine Wahrheit, die zu denken, zu tun, zu hoffen und zu leben gibt
Wie solch ein weites und tiefes Leben aus der Inspiration des Glaubens aussehen kann, zeigen die Seligpreisungen der Bergpredigt besonders gut. Glücklich dürfen sich hier diejenigen schätzen, denen durch die Begegnung mit Jesus – bzw. durch das Unterwegssein in seinen Spuren – eine neue Sicht auf sich selbst und auf die Welt eröffnet wird. Die acht Seligpreisungen bringen Menschen mit Gottes befreiendem und beglückendem Geist in Berührung. Und wer einmal von dieser Weite Gottes, von seiner Leidenschaft für die Menschen „infiziert“ wurde, von seiner Feinfühligkeit für die Trauernden, von seiner Gerechtigkeit für die Zu-kurz-Gekommenen, von seinem Inter-esse für die Armen, von seinem Mut zur Sanftheit, der handelt auch anders. Diese Person riskiert dann selbst – bereichert und göttlich beschenkt –, wovon sie „gekostet“ hat. Auf diese Weise gelangt er von der Oberfläche in die Tiefe, von der Enge in die Weite, von der Gleichgültigkeit ins Tun. Die Wahrheit, in der es im Christentum geht, ist daher eine „Wahrheit, mit der und in der Menschen leben können, … die zu denken, zu tun, zu hoffen und zu leben gibt“ (Jürgen Werbick).
Was Christsein ausmacht: Jesus Christus
In diesem Sinn schreibt Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika „Deus caritas est“: „Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.“
Genau das macht die Taufe mit ihren Zeichenhandlungen deutlich. Sie „ver-dichtet“ mit ihren Symbolen all das, was ein Leben in den Spuren Jesu wesentlich ausmacht. So verweisen etwa das ursprüngliche Eintauchen ins Wasser und das Anziehen des weißen Kleides auf das Eintauchen bzw. Hineinschlüpfen in den Lebenszugang, die Praxis und die Spiritualität Jesu. Treffend hat Günther Bornkamm geschrieben: „Taufe ist Zu-Eignung des neuen Lebens und das neue Leben ist An-Eignung der Taufe.“
Biblische Inspirationsquellen
Zusammenfassend: Ziel einer Einführung in den Glauben ist, jenen Erfahrungen mit Gottes Nähe nachzuspüren, wie sie uns in Jesus und den Menschen aus der Bibel begegnen, und auf diese Weise zu einem eigenen Vertrauen in das befreiende, heilende, herausfordernde, uns verwandelnde „Ich-bin-da“ des „Ich-bin-da“ (Jahwe) zu kommen. Wichtige Etappen – und Inspirationsquellen – auf diesem Weg des Kennenlernens könnten entlang der trinitarischen Taufformel bzw. der Themenschwerpunkte „Gott“ – „Jesus Christus“ – „Heiliger Geist und geistvolles Leben“ folgende biblische Erzählungen bzw. Glaubensinhalte sein:
Die Offenbarung des Gottesnamens im brennenden Dornbusch
Dies ist ein Ur-Motiv für die Gotteserfahrungen Israels – und Grund unseres Vertrauens, ebenfalls auf Gott zu setzen: Gott zeigt mit seinem Namen, wer und wie er ist: JHWH = Ich bin für euch da in meinem Handeln; ich bin der, der wirksam ist für euch (zuverlässig, unbegrenzt, unverfügbar). In der Geschichte vom brennenden Dornbusch verdichten sich diese Erfahrungen in einem wunderbaren Bild: Gott verspricht, da zu sein – vor allem in Zeiten, die dornig sind und wo’s brennt. Wir dürfen auf ihn vertrauen, selbst im Tod.
Gott, der Freund des Lebens – als „Leit-Melodie“ des christlichen Glaubens
Entlang der sieben alttestamentlichen Lesungen der Osternacht kann gut gezeigt werden, wie sehr die Menschen über Jahrhunderte und in den verschiedensten Situationen Gott als einen Liebhaber und Freund des Lebens erfahren haben, durch alle Krisen und Konflikte, Missverständnisse und Umwege hindurch. Sein „Ich-bin-da“ – so die Erfahrungen in der Bibel – nimmt Angst und richtet auf, wandelt und weitet den Horizont. Diesen lebens- und menschenfreundlich Gott machte auf besondere Art Jesus „transparent“. Im Titusbrief heißt es daher mit Blick auf Jesus: „Erschienen ist die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes“ (Tit 3,4). Es verwundert daher nicht, dass gerade in der „Nacht der Nächte“ Gott als Freund des Lebens auf siebenfache Weise in „Erinnerung“ gerufen bzw. präsent gemacht wird.
Dementsprechend ist in der ersten Lesung der Osternacht aus Gen 1,1-2,2 zu hören, wie Gott das Leben erschafft. Alles, was er erschaffen hat, ist in seinen Augen sehr gut: Gott ein Freund des Lebens, von Anfang an! Diese Lebensfreund-lichkeit Gottes kommt auch im zweiten Text zum Ausdruck. Die Erzählung von der Opferung Isaaks (Gen 22,1-18) darf dabei als klares Statement gegen jedes Menschenopfer gelesen werden. Oder anders ausgedrückt: Gott verlangt von uns nicht, dass wir ihm unser Wertvollstes opfern. Wir müssen für Gott nicht durchs Feuer gehen. Er verlangt von uns keine lebensfeindlichen (Auf-)Opferungen. Vielmehr geht Gott für uns durchs Feuer, damit wir leben können! Das zeigt die dritte Lesung (Ex 14,15-15,1) sehr deutlich. Gott rettet sein Volk aus der tödlichen Bedrohung und führt es aus der Versklavung in die Freiheit. Zudem dürfen wir wie das Volk Israel darauf vertrauen, dass uns dieser lebensspendende Gott niemals verlässt. Und von ihm, dem Freund des Lebens, geht auch keine Bedrohung aus (Jes 54,5-14). Das garantiert uns Gott höchstpersönlich: „So wie ich damals schwor, dass die Flut Noachs die Erde nie mehr überschwem-men wird, so schwöre ich jetzt, dir nie mehr zu zürnen und dich nie mehr zu schelten. Auch wenn die Berge von ihrem Platz weichen und die Hügel zu wanken beginnen – meine Huld wird nie von dir weichen und der Bund meines Friedens nicht wanken, spricht der Herr, der Erbarmen hat mit dir.“ (Jes 54,9f) Im fünften Text (Jes 55,1-11) hören wir, wie uns Gott zu sich einlädt, um unser Leben zu bereichern: „Neigt euer Ohr mir zu und kommt zu mir, hört, dann werdet ihr leben.“ (Jes 55,3) Auch die sechste Lesung (Bar 3,9-15.32-4,4) hat den Weg zur Weisheit bzw. den Weg zum Lebensglück zum Thema: „Nun lerne, wo die Einsicht ist, wo Kraft und wo Klugheit, dann erkennst du zugleich, wo langes Leben und Lebensglück, wo Licht für die Augen und Frieden zu finden sind.“ (Bar 3,14) Und die siebente Lesung (Ez 36,16-17a.18-28) lässt darauf vertrauen, dass Gott unser „Herz aus Stein“ durch ein „Herz aus Fleisch“ ersetzen wird.
Gott, der Befreier – und ein Glaube, der sich im Einsatz für Humanität bewahrheitet:
In Exodus 20,2 bzw. Deuteronomium 5,6 begegnet eine weitere Bibelstelle, in der sich Gott den Seinen auf markante und pointierte Weise vorstellt, sich eindeutig und unmissverständlich deklariert – ja gleichsam seine „Visitenkarte“ zeigt: „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ Dieser Satz ist die Einleitung bzw. „Einstiegsstelle“ zu den Zehn Geboten. Menschen, die an Gott glauben, sollen sich daher – ganz im Sinne Jahwes – für Gerechtigkeit und Freiheit, Menschlichkeit und Lebensentfaltung (insbesondere der Schwächeren!) einsetzen. Deshalb hat der Glaube an den Befreier-Gott nichts mit einem biedermeierlichen Rückzug in „kirchliche Sonderbereiche“ zu tun. Der Glaube an Gott zeigt sich vielmehr im Tun, im Dasein: für Schwache, Ausgegrenzte, Verspottete, Zu-kurz-Gekommene.
Wie zentral dieses Verständnis von Glauben ist, sieht man bei Jesus von Nazaret (insbesondere bei der Endzeitrede Matthäus 25). Und so fordert Jesus auf, nicht nur „Herr, Herr“ zu sagen, sondern den Willen Gottes ganz praktisch zu tun. Wer in Gott eintaucht, soll beim Nächsten wieder auftauchen: mit offenen Händen, mit einem offenen Herzen, mit Respekt, Feingefühl und Empathie.
Oder wie es Papst Franziskus in seinem Schreiben „Evangelii gaudium“ ausdrückt: „Der Vorschlag lautet, auf einer höheren Ebene zu leben, jedoch nicht weniger intensiv: ‚Das Leben wird reicher, wenn man es hingibt; es verkümmert, wenn man sich isoliert und es sich bequem macht. In der Tat, die größte Freude am Leben erfahren jene, die sich nicht um jeden Preis absichern, sondern sich vielmehr leidenschaftlich dazu gesandt wissen, anderen Leben zu geben.‘“ (10)
In den Spuren des Jesus von Nazaret: neues Sehen, neues Handeln, neues Daseinsgefühl
Im Zentrum des Christentums steht Jesus, der Christus, und seine Botschaft vom Reich Gottes. Unter Reich-Gottes ist das wohlwollende Wirken Gottes zu verstehen. Jesus verkündete, wie Gottes beglückendes „Ich-bin-da“ immer mehr zum Durchbruch kommt. Daher stellt er alles in den Dienst dieser befreienden Herrschaft Jahwes.
Papst Franziskus formuliert dies in „Evangelii gaudium“ (Absatz 180) pointiert: „Das Angebot ist das Reich Gottes (vgl. Lk 4,43); es geht darum, Gott zu lieben, der in der Welt herrscht. In dem Maß, in dem er unter uns herrschen kann, wird das Gesellschaftsleben für alle ein Raum der Brüderlichkeit, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Würde sein. … Euch aber muss es zuerst um sein Reich und um seine Gerechtigkeit gehen; dann wird euch alles andere dazugegeben‘ (Mt 6,33).“ Doch für diese befreiende, inspirierende, mobilisierende und alles verwandelnde Herrschaft Gottes braucht es einen Blick, eine sensible Wahrnehmung.
Anfänger im Glauben (und nicht nur sie!) sollen deshalb ihre Augen immer wieder für das befreiende Dasein Gottes „schärfen“ und einen Blick für die so andere – ganz und gar nicht berechnende, sondern befreiend-großzügige – Logik Gottes entwickeln. So fällt bei den Gleichnissen Jesu auf, wie sehr er seine Hörerinnen und Hörer durch den Blick auf Gottes so andere Herrschaft in Bewegung bringt. Er stellt wirkmächtige Sehgewohnheiten, folgenreiche Alltagslogiken („wie du mir, so ich dir“) und gängige Handlungsmuster auf den Kopf (etwa im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg). Wer seinen Blick auf die Welt, auf die Mitmenschen und sich selbst in diesem Sinn zu verändert und weitet, der ändert auch seine Praxis.
Bezeichnend für Jesus war es, dass er Menschen aufgerichtet und gestärkt hat. Christ-Sein spiegelt sich daher in einer Praxis, die aufrichtet und stärkt, die das gegenseitige Kleinmachen und Niederhalten (strukturell und gesellschaftlich) überwindet. Sehr anschaulich wird dies bei der Heilung der gekrümmten Frau oder der Begegnung Jesu mit Zachäus.
Als dritte Dimension neben dem Sehen und dem Handeln kommt das „Daseinsgefühl“ ins Spiel. Konkret heißt das: Wer Spuren der heilsamen Herrschaft Gottes in seinem Leben entdeckt, den eigenen Blick und die eigene Praxis sich wandeln und weiten lässt, der entdeckt auch Sinn, Dankbarkeit und Fülle in seinem Leben. Das Gefühl, zu kurz gekommen zu sein und sich nur vom Mangel her zu verstehen kann zugunsten einer Ahnung des Beschenktseins und Beschenktwerdens überwunden werden.
Oder mit den Worten Anselm Grüns gesagt: „Jesus hat uns … zuerst gelehrt, unser Leben, die Welt und Gott neu zu sehen. Und aus dieser neuen Sicht, die er uns selbst vorgelebt hat, erwächst dann von selbst auch ein neues Verhalten und ein neues Daseinsgefühl“ (vgl. die Seligpreisungen).
Im Zentrum: ein Gekreuzigter
Jesus stößt von Anfang an mit seinen Worten nicht nur auf Zustimmung: Seine eigene Familie verstand ihn lange Zeit nicht. Jünger, die ihm gefolgt waren, verließen ihn. Besonders jene Männer, die damals die religiöse Verantwortung trugen, fühlten sich durch ihn radikal in Frage gestellt. Mit seiner Tempelkritik eskalierte schließlich alles – und der Entschluss, Jesus zu töten, wurde gefasst. Jesus hätte aus Jerusalem leicht fliehen können. Aber er stellte sich dem todbringenden Konflikt, weil all sein bisheriges Wirken und seine tiefste Überzeugung auf dem Spiel standen. Er musste und wollte inmitten der drohenden Gefahr Farbe bekennen und sich deklarieren.
Der Tod Jesu zeigt, dass er keinen Millimeter von der Überzeugung abgerückt ist, dass Gott rettend auf die Menschen zukommt, belebend, vergebend, heilend, ermutigend – aber auch herausfordernd und unbequem, wenn es um das Leben-Können der Menschen geht. Hinter dem Tod Jesu steht somit nicht ein zürnender und kleinlich-abrechnender Gott. Im Gegenteil: Jesus lässt sich auf jenen Gott festlegen, „festnageln“, dessen Menschenliebe er Gestalt gegeben hat. Für ihn steht er ein.
Für uns Christinnen und Christen ist daher das Kreuz mehr als ein Folterinstrument und Todeswerkzeug. Es ist Ausdruck einer unverbrüchlichen Liebe. Zugleich ist das Kreuz ein sichtbares Zeichen, dass Jesus alles mit uns teilt. Niemand muss im Leid, im Sterben und im Tod alleine sein. Der Gekreuzigte ist auf der Seite derer, die im „Land der Finsternis wohnen“ (Jesaja 9,1). Und wir Christinnen und Christen sollen es ihm gleich tun und ebenfalls auf der Seite der Leidenden stehen – tröstend, aufmerksam, zuverlässig.
Der Auferstandene – und unser „Aufstand“ für das Leben
Dieser andere Blick auf das Kreuz ist nur deshalb möglich, weil nicht der Tod das letzte Wort gehabt hat. Vielmehr machten die Frauen und Männer um Jesus die Erfahrung, dass Gott stärker ist als alle Verneinungen, Bedrohungen, Einschränkungen und Zerstörungen des Lebens. Waren sie durch den Tod Jesu noch enttäuscht weggerannt bzw. verängstigt zum Schweigen gebracht worden, so kamen sie kurze Zeit später wie verwandelt zurück. Und sie verkündigen nun, dass ihnen – völlig unerwartet – Jesus begegnet ist: als von den Toten Auferweckter, lebend, in neuer Qualität. Gott – der Ich-bin-da – steht also wirklich zu seinem Versprechen. Er ist da: befreiend, belebend, aufrichtend. Die Treue Gottes hält, selbst über den Tod hinaus! Seit der Auferweckung Jesu dürfen deshalb auch wir hoffen, nicht im Tod zu bleiben. Gottes Ja wird jeden von uns umfangen und unser Leben verwandeln.
Angeregt durch die Begegnung mit dem Auferweckten, begannen die ersten Christinnen und Christen Jesu Leben und Sterben neu zu deuten und tiefer zu sehen. Sie erkannten, dass Gott mit seiner Liebe ganz in diesem Menschen dasein konnte. Mit Hilfe von Bildern bzw. (Hoheits-)Titeln (wie Sohn Gottes oder Herr) versuchten sie daher auszudrücken, dass sich in dem Mann aus Nazaret Gott auf unüberbietbare Weise „offenbart“, festgelegt, erfahrbar und erkennbar gemacht hat. Von Gott kann daher nie mehr anders als im Zusammenhang mit Jesus geredet werden. Von Ostern her wird klar: In Jesu ganzem Leben, in seinem ganzen Verkündigen, Verhalten und Geschick, hat … Gottes Wort und Wille Fleisch, eine menschliche Gestalt angenommen: Jesus hat in seinem ganzen Reden, Tun und Leiden, hat in seiner ganzen Person Gottes Wort und Willen verkündet, manifestiert, geoffenbart. (H. Küng)
Und noch etwas: Der Glaube an den Auferstandenen macht Mut, selbst aufzustehen und einzustehen für mehr Menschlichkeit, für mehr Gerechtigkeit, für mehr Miteinander und Respekt (ganz im Sinne des Gottesreiches). Nicht umsonst findet sich im Wort Auferstandener das Wort Aufstand wieder: Gottes österlicher Aufstand für das Leben und seine Entfaltung.
Inspiriert leben - Was die Nähe Gottes und des Auferweckten bewirken kann
Gott ist auch uns und unserer Zeit nahe, so wie der Auferstandene. Diese Nähe wird in der Theologie mit dem Begriff „Heiliger Geist“ umschrieben. Wenn Christinnen und Christen vom „drei-einen“ Gott sprechen, meinen sie damit also nicht den Glauben an drei Götter. Mit diesem einzigartigen, aber heute schwer zu verstehenden „Bild“ wollen sie vielmehr die Zuwendung und Nähe Gottes betonen. Quasi übersetzt drückt der Glaube an den drei-einen Gott folgende Gotteserfahrung aus:
Gott, der unsichtbare Vater über uns als Ur-Grund von allem;
Jesus, die erfahrbare Menschenliebe Gottes mit uns;
Heiliger Geist, die liebevolle Nähe des Vaters und des Sohnes bei und in uns.
Was diese göttliche Nähe bewirken kann, wie sie uns weiter und tiefer, menschlicher und reifer macht, zeigen beispielhaft die sieben Gaben des Heiligen Geistes. Ein christliches Leben ist demzufolge ein „geist-volles“ und „geist-reiches“ Leben. In allem was wir tun, was wir sprechen und wie wir uns im Alltag mit seinen vielfältigen Herausforderungen zeigen, soll dieser weite und inspirierende, großherzige und herausfordernde Geist Gottes spürbar und erfahrbar sein.
Die (Initiations-)Sakramente: Tankstellen und Kraftwerke
Die Sakramente sind besondere „Begegnungsmöglichkeiten“ mit Jesus, dem Auferweckten, und seiner Botschaft vom Reich Gottes. Wie Jesus die Menschen zu seiner Zeit durch den Blick auf Gottes befreiende Herrschaft ermutigt hat, neu zu sehen, neu zu handeln und neu zu fühlen, ermutigt er uns mit Hilfe der Sakramente zu dieser neuen Sicht, zu diesem neuen Handeln und zu diesem neuen Daseinsgefühl.
In diesem Sinn fordert die Taufe heraus, die „alten“ (Seh-)Gewohnheiten, Prioritäten oder Zwänge zurückzulassen und den „neuen Menschen“ mit neuer Weite und Tiefe immer mehr in den Blick zu nehmen und zur Geltung kommen zu lassen (vgl. Römer 6,3-11). Dieselbe Botschaft „ver-dichtet“ auch die Chrisamsalbung. Zugleich wird der Christ aber bei all dem vor Überforderung geschützt: das Gewand, in das er hineinschlüpft– der Lebenszugang und die Spiritualität Jesu – werden ihm immer zu groß sein. Wir dürfen gelassen bleiben: niemand wird je das Format Jesu ausfüllen können.
Auf dem Weg dieser Entfaltung bzw. Wandlung hin zum neuen Menschen braucht es immer wieder Stärkung, Motivation, ein „Vorkosten von Erlösung“. Aus diesem Grund feiern Christinnen und Christen Eucharistie. In Brot und Wein schenkt sich uns Jesus selbst. Er kommt zu uns: uns aufrichtend, uns ermutigend, uns vorbehaltlos bejahend. So gestärkt und genährt, vermögen wir dann selbst immer mehr zum Brot, zur Nahrung, zur Stärkung für andere zu werden. Neu sehen – neu handeln – neu fühlen: darauf zielen auch die anderen Sakramente (Firmung, Buße, Krankensalbung, Ehe und Priesterweihe). Immer soll etwas vom „Geschmack des Reiches Gottes“, von Gottes befreiendem Da-Sein spürbar sein und das eigene Leben bzw. Handeln davon geprägt, inspiriert und bereichert werden.
Da die Sakramente „Heilszeichen“ sind, gibt Papst in „Evangelii gaudium“ zu bedenken, dass sie als solche ein Zeichen für eine offene Kirche sein müssen. Denn Menschen auf der Suche ertrügen nicht die „Kälte einer verschlossenen Tür“. „Auch die Türen der Sakramente dürften nicht aus irgendeinem beliebigen Grund geschlossen werden“, was besonders für die Taufe gelte. Zudem sei insbesondere die Eucharistie „nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen.“ (47)
Wie Glaube am Leben bleibt und am Leben hält: das Vaterunser
Gott sucht unsere Gemeinschaft. Dazu lädt er uns ein. Jesus hat das mit seinen Festmahlen immer wieder gezeigt. Eine Gemeinschaft aber gewinnt nur dann an Vitalität und Beständigkeit, wenn die Beziehungspflege nicht zu kurz kommt. Ohne Gebet bliebe daher der eigene Glaube an der Oberfläche – oder würde gar „vertrocknen“.
Wovon die Beziehung Jesu zu seinem Gott geprägt war, zeigt besonders schön das Vaterunser. In diesem Gebet nimmt uns Jesus ganz hinein in seine Gottesbeziehung. Der Grundtenor dieses Gebetes ist Vertrauen und Faszination. Deshalb betet und bittet Jesus, dass er jeden Tag Gottes heilende und beglückende Nähe erleben darf (dein Name – „Ich bin da“ – werde geheiligt). Gott soll immer mehr in seinem Denken, Tun und Fühlen ankommen und sich heilvoll auswirken (dein Reich komme, dein Wille geschehe). Jesus vertraut auf Gottes bedingungslose Vergebung, die zugleich ermutigt, selbst zu vergeben (und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern). Und schließlich erfährt er Gott als den, der aus unheilvollen Lebensmustern zu befreien vermag (sondern erlöse uns von dem Bösen).
Du bist eingeladen – der Weg durch das Kirchenjahr
Die „Anhänger des neuen Weges“ – so wurden sehr früh jene Frauen und Männer genannt, zu denen man später „Christen“ sagte (vgl. Apostelgeschichte 9,2, 18,25 oder 19,9). Christinnen und Christen sind demnach Menschen, die auf dem Weg sind bzw. die sich in Bewegung gesetzt haben oder in Bewegung setzen, um in den Spuren Jesu unterwegs zu sein. Sie wollen sich auf ihrem Lebensweg vom Weg Jesu inspirieren, bereichern und herausfordern lassen. Deshalb braucht es Orte und Zeiten, um immer wieder neu erleben zu können, worin denn das Bereichernde und Weite des „neuen Weges“ besteht. Es braucht Orte und Zeiten der Begegnung mit den Erfahrungen unserer „Vor-Gänger“ auf diesem „neuen Weg“. Vor allem aber braucht es Zeiten zu und Orte, an denen man Jesus selbst begegnen kann, der für die Seinen der Weg zum „Leben in Fülle“ ist (Johannes 10,10). Zu diesen Begegnungen laden in besonderer Weise die Sonntage und Festzeiten des Kirchenjahres ein. Die Katechumenen sollen dementsprechend die wichtigsten Feste bzw. Festzeiten und deren Botschaft kennen-und mitfeiern lernen.
Hilfreich für die praktische Durchführung des Katechumenats: Drei Säulen
In der Praxis bewährt es sich, dass (bei jedem Treffen mit Katechumenen bzw. am Glauben Interessierten) folgende drei Säulen als tragende Elemente vorkommen:
1. Säule: Fragen und Erfahrungen der Katechumenen 2. Säule: Glaubensinhalte bzw. biblische Erfahrungen, lebensnah und erwachsenengemäß vermittelt 3. Säule: Spiritualität – in wachsenden Schritten
Die Katechumenen sollen von Anfang an erfahren, dass Glaube und Leben wesentlich miteinander verbunden sind. Ein Glaube, der nicht ein „Leben in Fülle“ (Johannes 10,10) zu erschließen vermag, bleibt hinter der Glaubensverkündigung und dem Glaubensverständnis Jesu zurück. Deshalb gilt es „ganz Ohr“ zu sein für die Lebens-Fragen und Lebens-Erfahrungen der Katechumenen. Diesen Erfahrungen ist entsprechend Raum und die Aufmerksamkeit zu geben (in dem Maße, wie das die Katechumenen wollen).
Genauso unerlässlich ist es, diese Erfahrungen in einen befruchtenden Dialog mit den verschiedenen Glaubenserfahrungen der Bibel zu bringen.
Beendet oder eingeleitet wird jedes Treffen mit einer spirituellen Übung bzw. mit einem Gebet (von der aufmerksamen Betrachtung des Tages, über die Einführung ins Kreuzzeichen bis hin zum Vaterunser als Höhepunkt und Verdichtung all des bisher Gesagten und Gehörten). Auf diese Weise erhalten die Katechumenen Einblick in den Reichtum christlicher Spiritualität und die Kraft des Gebetes „vorkosten“.
Worauf unbedingt zu achten ist: Merkmale christlicher Verkündigung
In „Evangelii gaudium“ fasst Papst Franziskus das, worum es in der Erstverkündigung bzw. in der späteren Katechese gehen soll – und wie eine Verkündigung dementsprechend zu gestalten ist – auf folgende Weise zusammen:
Wir haben von neuem entdeckt, dass auch in der Katechese die Erstverkündigung bzw. das „Kerygma“ eine wesentliche Rolle spielt. Es muss die Mitte der Evangelisierungstätigkeit und jedes Bemühens um kirchliche Erneuerung bilden. Das Kerygma hat trinitarischen Charakter. Es ist das Feuer des Geistes, der sich in der Gestalt von Zungen schenkt und uns an Christus glauben lässt, der uns durch seinen Tod und seine Auferstehung die unendliche Barmherzigkeit des Vaters offenbart und mitteilt. Im Mund des Katechisten erklingt immer wieder die erste Verkündigung: „Jesus Christus liebt dich, er hat sein Leben hingegeben, um dich zu retten, und jetzt ist er jeden Tag lebendig an deiner Seite, um dich zu erleuchten, zu stärken und zu befreien”. Wenn diese Verkündigung die „erste” genannt wird, dann nicht, weil sie am Anfang steht und dann vergessen oder durch andere Inhalte, die sie übertreffen, ersetzt wird. Sie ist die „erste” im qualitativen Sinn, denn sie ist die hauptsächliche Verkündigung, die man immer wieder auf verschiedene Weisen neu hören muss und die man in der einen oder anderen Form im Lauf der Katechese auf allen ihren Etappen und in allen ihren Momenten immer wieder verkünden muss…..
… Die zentrale Stellung des Kerygmas fordert für die Verkündigung Merkmale, die heute überall notwendig sind: Sie muss die erlösende Liebe Gottes zum Ausdruck bringen, die jeder moralischen und religiösen Pflicht vorausgeht, sie darf die Wahrheit nicht aufzwingen und muss an die Freiheit appellieren, sie muss freudig, anspornend und lebendig sein und eine harmonische Gesamtsicht bieten, in der die Predigt nicht auf ein paar Lehren manchmal mehr philosophischen als evangeliumsgemäßen Charakters verkürzt wird. Von dem, der evangelisiert, werden demnach bestimmte Haltungen verlangt, die die Annahme der Verkündigung erleichtern: Nähe, Bereitschaft zum Dialog, Geduld, herzliches Entgegenkommen, das nicht verurteilt.