23. IN DER ERFAHRUNG VON LEID
FÜR DAS GESPRÄCH
was man so sagt
- Wenn Gott uns liebt, warum gibt es das Leid?
- Warum werden die Bösen nicht bestraft?
- Um das Glück zu erreichen, muss man auf das Jenseits warten.
- Gedanken an Krankheit, Alter und mögliche Katastrophen machen mir Angst.
- Je mehr ich um mich blicke, desto mehr habe ich den Eindruck, dass die Menschen böse sind.
- Es gibt Gläubige, die ihr Leid Gott aufopfern; aber welchen Sinn hat das?
- Wenn es ein Unglück gibt, trifft es zumeist die Armen und die Kleinen.
- Das Leid ist eigentlich absurd. Vielleicht kann der Mensch aber trotzdem auch im Leid einen Sinn sehen.
- Es ist erstaunlich, dass ein Gott Leid und Tod kennen gelernt haben soll. Damit ist er allen nahe, die leiden.
Fragen
- Was meinen Sie dazu?
- Gibt es eine Aussage, die Sie besonders anspricht?
- Welche Fragen fallen Ihnen ein in Bezug auf das Leid in der Welt?
ENTDECKEN
Eine unausweichliche Realität
Das Leid ist eine Realität im Leben der Menschen. Es kann verschiedene Formen haben:
- Krankheit, Schmerz, Angst, Verzweiflung
- Einsamkeit, Verrat, Demütigung, Mobbing
- Arbeitslosigkeit, ein Gefühl der Wertlosigkeit
- Verfolgung, wenn man gegen Ungerechtigkeit auftritt
- ein Unfall, durch den man eine Behinderung davonträgt
- eine Schuld, das eigene Leben verpfuscht zu haben, es anderen verdorben zu haben
- Schwierigkeiten in den alltäglichen Beziehungen
Jede/r macht die Erfahrung von Leid, entweder mit den Mitmenschen oder allein. Jede/r reagiert auf eigene Art, aber niemand kann einem anderen sagen, wie man am besten damit umgehen könnte.
Im Glauben geht es nicht darum, von einer Welt zu träumen, wo es kein Leid und nichts Böses gibt; ebenso darf man nicht seine Augen verschließen, das Leid ignorieren oder gleichgültig bleiben. Gott beruft uns, inmitten der menschlichen Wirklichkeit zu leben, aber zugleich eine Hoffnung in uns zu tragen, weil Gott mit uns ist.
Phänomene des Bösen
gegenüber anderen Menschen:
Man ist verantwortlich, für Respekt gegenüber allen, für den Schutz der Umwelt für eine mitmenschliche Lebensqualität. Aber wenn es Menschen an Aufmerksamkeit fehlt, wenn sie egoistisch sind, wenn sie beherrscht sind vom Willen zur Macht oder von Hass, bewirken sie Böses. Hier entsteht das Böse aus der Sünde des Menschen.
nicht gegen Menschen gerichtet:
Das Leben der Menschen ist ununterbrochen konfrontiert mit Phänomenen, die man nicht überwinden kann (hier würde man mehr von Übel oder ganz allgemein Unglück sprechen): Katastrophen, Krankheiten. Das menschliche Leben ist verwundbar und fragil.
Ungenügende Erklärungen
Man kann das Böse erklären, wenn es von Menschen verursacht wird, oder wenn diese sich weigern, sich dagegen zu engagieren. Aber auch wenn man Ursachen erklären kann, bleibt die Frage (trotz psychologischer Erkenntnisse) offen, warum ist der Mensch überhaupt fähig ist zu hassen und sich in Egoismus einzuschließen. Das Böse ist nicht bis zum letzten Grund unerklärbar. Aber es verunsichert, es konfrontiert mit einer Absurdität, die unerträglich sein kann. Manchmal sucht man einen Schuldigen, eine oberflächliche Erklärung, eine billige Lösung; z.B.:
- Das Böse ist eine Strafe.
Damit meint man, dass es eine Konsequenz ist: Weil es Böses und Sünde im Menschen gibt, muss man die Konsequenzen tragen, auch jene, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Einige müssen für andere zahlen.
Wenn man eine solche Erklärung akzeptiert, kommt man zu einem rachsüchtigen Gottesbild.
- Die Welt wird von bösen Kräften beherrscht.
Diese Kräfte, die man Satan, Dämonen o.ä. nennen kann, sind außerhalb des Menschen und manipulieren ihn. Auf diese Art und Weise stellt man sich vor, dass die Menschheit inmitten eines ständigen Konfliktes zwischen außerirdischen Mächten lebt, zwischen den Kräften Gottes und den Kräften des Bösen ist. Dann aber wäre Gott ein Spieler.
- Das Böse ereignet sich schicksalhaft.
Manchmal scheint es, als käme es einfach schicksalhaft auf uns zu und der Mensch ist einem Mechanismus unterworfen, gegen den man ohnmächtig ist. Wenn man sich aber dem Fatalismus unterwirft: Warum sollte man sich engagieren, wenn sich sowieso nichts ändern wird? Und Gott wäre so etwas wie ein zynischer Zuschauer.
Der christliche Glaube teilt keine dieser Erklärungen. Gott ist kein Rächer, kein Spieler, kein Zyniker. Er ist Liebe und er hat sich in Jesus Christus mit der Kraft seines Lebens dem Leid und dem Bösen gestellt.
Daraus folgt aber nichts Spektakuläres: Denn das Reich Gottes existiert im Alltag.
Wir lernen zu sehen, wie es sich entfaltet und wächst, indem wir den Heiligen Geist in unserem Leben empfangen und ihm durch uns Raum geben. Das hört niemals auf. Glauben bedeutet, zu erkennen, dass Gott selbst sich solidarisch macht mit den leidenden Menschen. Er geht mit auf unseren Weg.
Beschütze mich, denn ich bin dir ergeben! Hilf deinem Knecht, der dir vertraut!
Du bist mein Gott. Sei mir gnädig, o Herr! Den ganzen Tag rufe ich zu dir.
Herr, erfreue deinen Knecht; denn ich erhebe meine Seele zu dir.
Herr, du bist gütig und bereit zu verzeihen, für alle, die zu dir rufen, reich an Gnade.
Herr, vernimm mein Beten, achte auf mein lautes Flehen!
Am Tag meiner Not rufe ich zu dir; denn du wirst mich erhören.
(Ps 86,2-7)
Der Weg Jesu
Das Neue Testament beschreibt, wie Jesus gegenüber dem Leid handelt.
Heilungen
Jesus zog weiter und kam an den See von Galiläa. Er stieg auf einen Berg und setzte sich.
Da kamen viele Menschen und brachten Lahme, Krüppel, Blinde, Stumme und viele andere Kranke zu ihm; sie legten sie vor ihn hin, und er heilte sie. Als die Menschen sahen, daß Stumme plötzlich redeten, Krüppel gesund wurden, Lahme gehen und Blinde sehen konnten, waren sie erstaunt und priesen den Gott Israels. (Mt 15,29-31)
Die Erzählungen von Heilungen und Wundern sind wie Zeichen der Hoffnung zu verstehen. Tatsächlich hat Jesus nicht jedes Leid gelindert, nicht jeden Kranken geheilt. Aber man kann entdecken, dass Jesus sich mit aller Kraft für das Leben und das Glück der Menschen einsetzt.
Jesus benennt die Wurzeln der Sünde.
Er gebrauchte auch einen Vergleich und sagte: Kann ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? Der Jünger steht nicht über seinem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du den Balken in deinem eigenen Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. (Lk 6,39-42)
Es kommt vor, dass Menschen das Böse in sich liegen lassen. Jesus stellt fest: Das Böse macht blind und verdunkelt das Herz. Jesus will, dass man ehrlich zu sich selbst ist. Er weckt die Menschen auf aus ihrer Gleichgültigkeit und ihrer Niedergeschlagenheit. Die Botschaft Jesu beinhaltet Aufforderungen zur Umkehr. Manche Heilungen Jesu sind Zeichen der Befreiung.
Jesus akzeptiert, die Last der Sünde zu tragen.
Jesus erlebt das Leid wie andere Menschen. Er kennt das Gefühl, zurückgewiesen zu werden, sogar von Gott verlassen zu sein. Er teilt die Erfahrung aller, die unter dem Leid niedergedrückt sind. Er erfährt die Absurdität des Bösen.
Am Höhepunkt seines Leides erträgt er jedes menschliche Leid und vereinigt sich mit seinem Vater. Dann ist das letzte Wort Jesu im Lukas-Evangelium ein Wort des Glaubens: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. (Lk 23,46)
Jesus offenbart die Kraft der Liebe.
Am Kreuz verzeiht er seinen Mördern: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. (Lk 23,34) Und zuletzt sagt er: Es ist vollbracht. (Joh 19,30)
Das bedeutet: die Liebe Gottes ist bis zum Ende gegangen und wird Frucht tragen.
In der Auferstehung Jesu bestätigt Gott, dass nur die Liebe befreiend ist.
Hoffnung leben
Christen suchen nicht zuallererst eine Erklärung für den Ursprung des Bösen. Sie nehmen sich ein Beispiel an Jesus angesichts der Realität von Leid und vom Bösen.
Der Wunsch nach Klarheit
Manchmal bleibt das Böse verborgen, unentdeckt, es wird nicht zugegeben. Hier muss man es zu Bewusstsein bringen und zur Wahrheit stehen.
Alle Formen des Bösen sind empörend, aber es braucht Mut, darauf im Sinn des Evangeliums entschieden zu reagieren. Das gilt sowohl für eine Gemeinschaft als auch individuell. Das Evangelium hilft zur Klarheit. Die Erkenntnis, Mensch zu sein und das Böse zugeben zu können, das man getan hat, hilft, ein besserer Mensch zu werden und seine Verantwortung zu übernehmen.
Wenn Gott mit dem Menschen einen Bund geschlossen hat, dann nicht, um uns ständig kritisch zu beobachten oder unsere Handelsfreiheit einzuschränken, sondern damit wir ihn erkennen und uns an ihm erfreuen. Denn er ist ein Gott, der zu seinem Bund steht, ihn nicht aufgibt; er ist ein Gott, der verzeiht.
Präsenz bei denen, die leiden
Persönlich sind Menschen oft niedergedrückt durch ihr Leid, sie verzweifeln. (In gesellschaftlicher Hinsicht kann es zu Revolten, Aufständen, Revolutionen kommen.)
Da helfen keine schönen Reden. Leid entwürdigt und entmenschlicht. Trotzdem kann man auch in der schwierigsten Situation den Willen zum Leben entdecken. Wenn hier jemand zur Seite steht, wirkt dieser nicht wie eine Medizin, aber sein Dasein, das Geschenk seiner Zeit, seine Empathie ist eine Hilfe.
Im Glauben kann man erahnen, dass Gott sich offenbart in einer diskreten Präsenz und in einer grenzenlosen Treue. Auch das ist ein Zeichen von Gottes Liebe, die Hoffnung schenkt.
Der Kampf gegen das Böse
Glauben heißt auch: glauben, dass die Welt sich ändern kann. Der Widerstand gegen das Böse ermöglicht, dass mehr Menschlichkeit geschaffen wird. Diese Hoffnung schöpfen Christen aus dem Vorbild Jesu. Im Sinne seiner Auferstehung glauben wir daran, dass die Kräfte des Lebens stärker sind als die Kräfte des Todes.
Natürlich wird es immer Übel in der Welt geben, aber es geht um eine Perspektive, das Bestmögliche auf jede erdenkliche Weise zu machen.
Jedes Übel ist ernst zu nehmen, aber es hat nicht das letzte Wort. Das hat Gott.
Vertrauen in Gott
Sich dem Leid zu stellen kann sogar so aussehen, als würde es über uns siegen. Wenn alles verloren scheint, kann sich der Gläubige in der Nachfolge Jesu der Liebe Gottes anvertrauen. Auch wenn man das nicht wirklich verstehen kann, verheißt uns der von Jesus vorgelebte Weg, dass das Leben in allen seinen Aspekten seinen Wert und seine Würde vor Gott behält.
ZUR VERTIEFUNG
Verschiedene Formen des Leides und des Bösen
Gegenüber welchen Formen von Leid und von Bösem sind Sie besonders empfindlich?
Haben Sie beobachtet, wie ein Unglück dazu führen kann, den Glauben aufzugeben – oder im Gegenteil: zu vertiefen?
Verheißungen Jesu
Empfindsam gegenüber verschiedenen menschlichen Situationen verkündet Jesus:
Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden;
denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt
und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein.
Denn so wurden schon vor euch die Propheten verfolgt.
(Mt 5,3-12)
Was Jesus hier sagt, erscheint paradox.
Wie können Sie diese Worte verstehen?
Was scheint die Botschaft in jeder einzelnen Seligpreisung zu sein?
Entspricht das Ihrer Vorstellung von christlicher Hoffnung? Ja oder nein, warum?
GEBET
Man kann in eine Kirche oder an einen anderen Ort gehen,
sich dort Zeit nehmen und Jesus am Kreuz betrachten.
Im Gebet soll man alle Menschen, die man kennt
und die mit Leid konfrontiert sind,
im Gebet vor Gott tragen.