10. JESUS WIRD ABGELEHNT, VERRATEN UND GEKREUZIGT
FÜR DAS GESPRÄCH
was man so sagt
- Wenn Jesus ein Gesandter Gottes war, warum hat ihn Gott nicht davor bewahrt, als falscher Prophet behandelt und getötet zu werden?
- Ist das Leben Jesu nun ein Misserfolg oder ein Erfolg?
- Das ist das Schicksal der Propheten: Sie stören und man tötet sie. Das ist auch bei Jesus geschehen.
- Er ist gestorben, aber er wusste, dass er auferstehen wird.
- Jesus musste für unsere Sünden bezahlen.
- Warum hat man jemanden getötet, der eigentlich nur Gutes getan hat?
- Man sagt, dass er uns erlöst hat. Aber ich sehe nicht, dass durch seinen Tod auch nur irgendetwas erlöst wurde. Die Weltgeschichte ist nicht erlöster geworden.
- Einmal soll man sein Kreuz auf sich nehmen; ein anderes Mal heißt es, dass Gott unser Glück will. Also: Was jetzt?
- Eigentlich ist das Kreuz überall.
- Das Zeichen der Christen ist das Kreuz. Warum behält man ein so morbides Symbol?
Fragen
- Welche dieser Meinungen ist für Sie besonders interessant - oder zutreffend - oder falsch? Warum?
- Was bedeutet für Sie das Kreuz als christliches Symbol?
ENTDECKEN
Seit den Anfängen der Kirche erinnern sich Christen sehr genau an die Art und Weise, wie Jesus abgelehnt und getötet wurde, wie er mit Verrat und Hass konfrontiert wurde, obwohl er der Messias war.
Das Johannes-Evangelium widmet sieben der insgesamt 25 Kapitel dem letzten Lebensabschnitt Jesu. Hier verdichtet sich das Wesentliche seines Zeugnisses, das er während seines ganzen Lebens gegeben hat.
Die Botschaft Jesu wird nicht von allen angenommen
Im Evangelium wird berichtet, wie Jesus einen Menschen trifft, ihn heilt und dann sagt: Steh auf und geh, dein Glaube hat dir geholfen. (Lk 17,19)
Jesus schenkt dem Mann gleichsam ein neues Leben. Zugleich lässt er etwas durchklingen: nicht aus Mitleid oder weil es dieser Mann „verdient“ hätte, wird er geheilt, sondern im Blick auf seinen Glauben. Vielleicht hatten andere zumindest ebenso viel Glauben und wurden dennoch nicht geheilt? Jesus will kein Wunderheiler sein, sondern das Reich Gottes verkünden; kein Zauberer Gottes, sondern sein Zeuge. Er setzt Zeichen, eigentlich unmissverständliche Zeichen, aber die Erwartungen und Vorstellungen der Menschen verstehen sie oft nicht. (vgl. Mt 13,14)
Man kann hier ein Paradoxon beobachten:
Einerseits eine Faszination für das, was Jesus mit Worten und Taten mitteilt.
Wo das ankommt, reift der Glaube und zugleich die Mitmenschlichkeit.
Andererseits eine Zurückhaltung gegenüber der Herausforderung, seine Worte radikal ernst zu nehmen. Dahinter steht eine Sorge, seine Sicherheiten zu verlieren, aus seinen Lebensgewohnheiten herausgerissen zu werden, Dinge anders betrachten zu müssen. Aber man will sich und überhaupt nichts ändern.
Diese zwei Seiten spürt man oft gleichzeitig. Die Pharisäer z.B. scheinen an Jesus sehr interessiert zu sein. Sie sind oft in seiner Nähe, beobachten ihn, fragen ihn; manchmal sind sie fasziniert und loben Gott, immer öfter aber sind sie irritiert, weil er sich mit seiner Botschaft und mit seinem ganzen Leben über so viele scheinbar wichtige Gewohnheiten hinwegsetzt. Deshalb haben viele seine Botschaft nicht angenommen. Uns geht es aber heute genauso.
Jesus wird zum Tod verurteilt
Jesus verkündet die Frohe Botschaft des Reiches Gottes, das kommen wird. Zugleich stört er die religiösen Gewohnheiten: Er heilt am Sabbat; er gibt sich mit Aussätzigen ab; er lehnt die Äußerlichkeiten des Tempelkultes ab. In den Augen der religiösen Verantwortlichen stellt er damit die heiligsten religiösen Institutionen infrage: das Gesetz, den Tempel, die Grenzen zwischen Reinen und Unreinen.
Was Jesus tut, provoziert die Frage: Was ist die Wahrheit Gottes? Auf welcher Seite ist sie zu finden? Auf der Seite Jesu oder auf jener der religiösen Autoritäten? Um diese Frage geht es letztlich im Prozess Jesu.
Dennoch wird Jesus während seines Lebens als Messias anerkannt, als Sohn des lebendigen Gottes. So wird er genannt. Aber das genügt nicht, um den Lauf der Dinge zu bestimmen. Denn die Menschen sind sich nicht einig, dass er dies wirklich ist und wer er überhaupt ist. Wie kann er einerseits einen Messias-Anspruch stellen, aber keine Anstalten machen, die Römer vertreiben zu wollen?
Jesus wird zum Tode verurteilt, weil er sich als Sohn Gottes bekennt – und das ist für die Juden inakzeptabel.
- Von jüdischer Seite wird er durch die religiösen Autoritäten wie ein falscher Prophet behandelt. Man bringt ihn vor den Hohen Rat (Sanheddrin). Man sucht Gründe, ihn anzuklagen. Die jüdischen Autoritäten sehen in ihm jemanden, der den geheiligten Charakter des Gesetzes und des Tempels zurückweist. Sie haben Angst um ihre Macht und ihre religiösen Institutionen, die destabilisiert werden könnten. Sie beschuldigen Jesus der Blasphemie, der Gotteslästerung.
- Jesus wird danach als Agitator vor die politischen Mächtigen gebracht, vor Pilatus, der den Kaiser repräsentiert. Denn man will ihn zum Tod verurteilen und dazu braucht es eine Verurteilung durch Pilatus. Dieser will aber kein religiöses Motiv für ein Todesurteil anerkennen. Plötzlich wird die Anklage erweitert: Jesus sei ein unakzeptabler Agitator und bringe die römische Ordnung in Gefahr. Überzeugt von seiner Unschuld, aber aus Angst, seinen Ruf der Loyalität gegenüber dem Kaiser zu verlieren, akzeptiert Pilatus, Jesus auszuliefern und dem Tod zu übergeben.
Jesus, Mann des Glaubens, der von seinen Zeitgenossen zurückgewiesen wird
Jesus wird also nicht als falscher Prophet verurteilt (aus diesem Grund wird er vorher ausgepeitscht), sondern als Aufrührer. Dieses Urteil wird auf römische Art ausgeführt: durch den Tod am Kreuz.
Tatsächlich wird das so gedeutet, dass Gott seinen Zeugen verlassen hat bzw. dass er eben doch ein falscher Prophet war, weil er von Gott nicht gerettet wurde.
Aber auch in der Situation tiefster Verlassenheit und Ohnmacht steht Jesus dazu, der Messias zu sein. Er nimmt den Tod auf sich als Konsequenz der Treue zu Gott, der ihn gesandt hat.
In den Tagen vor seiner Verhaftung ahnt Jesus, was geschehen wird. Die Spannung und die Ablehnung der religiösen Autoritäten sind immer weiter gestiegen, eine Eskalation, d.h. seine Verhaftung scheint unvermeidlich. Jesus weiß, dass nun das Ende seiner irdischen Mission nahe ist, die ihn in die Linie der Propheten Israels einreiht. Er ist der Gerechte, der zurückgewiesen wird.
Jesus möchte seine Jünger darauf vorbereiten, dass er nach seinem Tod leben wird.
Das große Pascha-Fest nähert sich. Was macht Jesus?
Jesus ... stand vom Mahl auf, legte sein Gewand ab und umgürtete sich mit einem Leinentuch. Dann goss er Wasser in eine Schüssel und begann, den Jüngern die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch abzutrocknen, mit dem er umgürtet war (Joh 13,4-5)
(In Palästina war es Brauch, dass die Diener den Gästen die Füße waschen, bevor sich diese zu Tisch begeben. Dass sich Jesus wie ein Diener verhält, und was darunter für die Jünger zu verstehen ist, gehört zu seinen letzten Zeichen.)
Es war vor dem Paschafest. Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung… Als er ihnen die Füße gewaschen, sein Gewand wieder angelegt und Platz genommen hatte, sagte er zu ihnen: Begreift ihr, was ich an euch getan habe? Ihr sagt zu mir Meister und Herr, und ihr nennt mich mit Recht so; denn ich bin es. Wenn nun ich, der Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe. (Joh 13,1.12-15)
Das bedeutet, sich zum Diener anderer zu machen.
Als die Stunde gekommen war, begab er sich mit den Aposteln zu Tisch.
Und er nahm Brot, sprach das Dankgebet, brach das Brot und reichte es ihnen mit den Worten: Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Tut dies zu meinem Gedächtnis! Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch und sagte: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird. (Lk 22,14; 19–22)
Nach dem Mahl geht Jesus zum Ölberg in den Garten Getsemane um während der Nacht zu Gott, seinem Vater zu beten. Die Verzweiflung ist da, er hat Todesangst. Aber die Stunde des Verrats, der Auslieferung und des Todes kommt unausweichlich. Im Gefühl tiefster Verlassenheit bewahrt er sein Vertrauen (Mk 14,32-42) und er sagt: Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist. (Lk 23,46)
Im Augenblick seines Todes wendet sich Jesus an alle, die er gesandt hat, und antwortet auf all den Hass, die Ungerechtigkeit und die Gewalt mit Vergebung: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. (Lk 23,34)
In seinem Tod wird Jesus solidarisch mit dem Leid aller Menschen.
Das Kreuz auf dem Weg der Christen
Als Jesus verhaftet wird, fliehen die Apostel vor Angst. Sein Tod bedeutet ein Scheitern und stellt die ganze gemeinsame Zeit und die Botschaft vom Reich Gottes radikal in Frage. Tatsächlich braucht es das Zeugnis der Auferstehung, um diese Frustration zu überwinden.
Das Leiden, die Angst und der Tod bleiben eine Erfahrung, die Jesus, der Sohn Gottes, durchlebt hat. Deshalb können wir sagen, dass Gott mit uns ist auch in unseren tiefsten, schrecklichsten menschlichen Erfahrungen. Manchmal fragen wir: Was macht Gott angesichts von so viel Ungerechtigkeit, Hass, Gewalt und Absurditäten?
Ein Sinn, und zwar jener Sinn, den Jesus seinem Leben und Sterben gibt, erschließt sich nur durch die Auferstehung und die Botschaft seines ganzen Lebens. Gott bleibt nahe, auch wenn er nicht auf wundersame Weise eingreift.
Misserfolge, Schicksalsschläge, die Schwierigkeiten des täglichen Lebens, das gehört alles zu dem Kreuz, von dem Jesus spricht, wenn er sagt: Wenn jemand mir nachfolgen will, nehme er sein Kreuz auf sich. (Mt 16,24)
In diesem Sinn begleitet das Kreuz das Leben seiner Jünger/innen, die sich entschieden in der Nachfolge Jesu für das Reich Gottes einsetzen, wenn sie für Gerechtigkeit kämpfen, bedingungslos verzeihen, Frieden schaffen, sich auf die Seite der Armen und Entrechteten stellen. Auch heute setzen sich viele Christ/innen mit ihrem ganzen Leben ein, Jesus radikal nachzufolgen. Auf diese Art stellen sie sich heute wie auch gestern gegen eine Gesellschaft, die allzu gern nur auf Durchsetzungskraft, Wohlstand und Macht setzt. Das verlangt Opfer, manchmal kostet es sogar das Leben.
Das Zeichen des Kreuzes symbolisiert den Weg, auf dem die Liebe Gottes uns berührt.
Stichwort: das Kreuz
Das Kreuz war ein Marterinstrument zur Zeit der Römer für jene, die zum Tod verurteilt waren. Sogar an einer Stelle der Bibel ist es ein Zeichen einer Verurteilung durch Gott. (Dtn 21,22-23) So erscheint Jesus von außen gesehen wie ein Betrüger, der als solcher entlarvt wurde. Doch dann durchlebt Jesus seinen Tod als Zeugnis der Liebe für die Menschen und für die Treue Gottes. Damit verändert er die Bedeutung des Kreuzes! Wenn Christen heute ihr Kreuz auf sich nehmen (bildlich gesprochen), drücken sie die Kraft der Liebe Gottes aus, an der sie teilhaben. Das ist das Zeichen, das man täglich macht, beim Gebet, beim Eintreten in eine Kirche oder Kapelle: das Kreuzzeichen im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Christen wissen, dass sie mit, durch und im auferstandenen Jesus Christus leben. |
ZUR VERTIEFUNG
Wiederholung
Wie verstehen Sie jetzt die Ablehnung, die Verurteilung und den Tod Jesu?
Eine Leidensgeschichte im gesamten Zusammenhang lesen: (Mk 14,1–16,8)
Nach jedem Abschnitt miteinander sprechen:
Über die verschiedenen Reaktionen der unterschiedlichen Menschen;
Über die Haltung Jesu;
Welche Textstelle berührt Sie besonders?
Aktualisieren
- Kann das Stehen zum Glauben, zu seinen Überzeugungen, zu christlichen Werten manchmal zu Konfrontation mit anderen führen? Können Sie sich solche Situationen vorstellen? Worum geht es dann?
- Können Sie sagen, dass Menschen auf bestimmte Art und Weise Erfahrungen des Kreuzes machen? Welche?
- Inwieweit betrifft die Erfahrung Jesu auch uns?
GEBET
Ein Symbol
Ein Kreuzzeichen machen
Der Weg des Kreuzes
In eine Kirche gehen und sich Zeit nehmen, einen Kreuzweg zu betrachten; in Stille beten
Jesus von Nazaret, Jesus, unser Bruder,
verurteilt durch eine lächerliche Rechtsprechung,
ausgeliefert der Bosheit, die nicht hört und nicht sieht.
Jesus, unser Bruder, wir glauben an dich,
niemand hat dir das Leben genommen, denn du hast es freiwillig gegeben.
Jesus, unser Bruder, sei nahe allen Menschen,
die sich voll Hoffnung für Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit engagieren.
Sei nahe denen, die an dich glauben,
und auch jenen, die unsere Worte des Glaubens nicht kennen,
aber die du kennst, weil sie deine Worte leben
und manchmal dafür sogar bis zum Tod gehen.
Jesus, unser Bruder, du bist gestorben am Ende eines Streites,
der uns die Liebe Gottes gezeigt hat, die nicht nur in Worten besteht,
sondern aus Schweiß, Blut und Tränen,
aus Auseinandersetzungen, Solidarität und Verzeihung.
Jesus von Nazaret, du hast dein Leben nicht festgehalten,
du hast es hingegeben.
Und wir danken dir,
denn du hast uns offenbart,
dass die Liebe die Macht der Auferstehung ist.
Christ outragé, Jean-Marc Chauveau