05. PROPHETEN TRETEN AUF
FÜR DAS GESPRÄCH
was man so sagt
- Wenn der Prophet die Wahrheit sagt, wird er umgebracht.
- Woran erkennt man, dass jemand ein Prophet ist?
- Es gibt immer welche, die anderen ihre moralischen Einstellungen aufdrängen wollen.
- Der Prophet ist einer, der sagt: Das kann nicht so weitergehen!
- Propheten können die Zukunft voraussagen.
- Es gibt gute und schlechte Propheten; jeder hat seine eigene Wahrheit.
- Für mich ist ein Prophet jemand, der mit seiner ganzen Kraft eine Botschaft für unsere Zeit trägt.
- Es braucht schon viel Mut, um zu sagen, was man denkt.
- Ist Jesus der Größte der Propheten?
Fragen
- Welche dieser Meinungen ist für Sie besonders interessant - oder zutreffend - oder falsch? Warum?
- Woran denken Sie, wenn Sie das Wort Prophet hören?
ENTDECKEN
Abraham, Mose und andere waren die Pioniere des Abenteuers eines damals neuen Glaubens, in dessen Mittelpunkt der Bund mit Gott steht. Aber eine Pionierzeit geht vorüber. Es treten neue Entwicklungen auf. Manches wird alltäglich, anderes wird vergessen. Wie konnte man im Lauf der Zeit diese Lebensart, mit der der Bund verwirklicht wird, bewahren – oder immer wieder in Erinnerung rufen?
Man muss sich vergewissern: Gott begleitet unablässig sein Volk. Doch damit es in der Spur bleibt – oder immer wieder dahin zurückfindet – treten Propheten auf und sprechen in seinem Namen: Jesaja, Ezechiel, Micha, Hosea, Jeremias usw. Sie erinnern sie an die Bedeutung des Bundes und des Gesetzes.
Im Lauf der Zeit und mit immer neuer Aufmerksamkeit auf die Worte der Propheten, beginnt man, einen Messias zu erwarten, der kommen wird, um den Bund mit Gott unüberbietbar zu verwirklichen und zu vollenden.
Für die Christen ist diese Erwartung erfüllt in Jesus Christus.
Aber gibt es heute Propheten, die in der Kirche und in der Welt ihre Stimme erheben? Wie sollen wir sie erkennen?
Tatsächlich treten auch heute Männer und Frauen auf, um der Gerechtigkeit zu dienen und Zeugnis zu geben von der Hoffnung, die Gott ihnen geschenkt hat. Sie erinnern daran, dass es, um wahrhaft Mensch zu sein, nicht genügt, nur an sich selbst zu denken. Es geht darum, sich in gelebter Solidarität für andere und für Gott zu öffnen und so seine eigene Menschlichkeit zu entfalten.
Zum Beispiel: Jeremia
Ungefähr 700 Jahre vor Christus ist das Land in zwei Reiche geteilt: der Norden wurde bereits von den Assyrern erobert; der Süden mit der Hauptstadt Jerusalem existiert noch, ist aber bedroht.
Die Berufung des Jeremia
Das Wort des Herrn erging an mich: Noch ehe ich dich im Mutterleib formte, habe ich dich ausersehen, noch ehe du aus dem Mutterschoß hervorkamst, habe ich dich geheiligt, zum Propheten für die Völker habe ich dich bestimmt. Da sagte ich: Ach, mein Gott und Herr, ich kann doch nicht reden, ich bin ja noch so jung. Aber der Herr erwiderte mir: Sag nicht: Ich bin noch so jung. Wohin ich dich auch sende, dahin sollst du gehen, und was ich dir auftrage, das sollst du verkünden. Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin mit dir um dich zu retten – Spruch des Herrn. Dann streckte der Herr seine Hand aus, berührte meinen Mund und sagte zu mir: Hiermit lege ich meine Worte in deinen Mund.
(Jer 1,4-9)
Gott ruft nicht unbedingt, wenn man sich stark und ganz auf der Höhe fühlt. Er selbst wird erst die nötige Kraft schenken, die der prophetische Auftrag verlangt. (Deshalb kann auch kein Prophet mit eigener Stärke, Intelligenz oder Geschicklichkeit prahlen.)
Der Weg der Berufung
Jeremia geht in den Eingangsbereich des Tempels in Jerusalem. Er wendet sich an jene, die gewohnheitsmäßig hierher kommen und sich damit – und schon allein deshalb – ihrer Gottesbeziehung sicher sind. Aber die Anwesenheit in einem Gebäude, das aus der Hand der Menschen gemacht ist, ist für Jeremia zu wenig.
Das Wort, das vom Herrn an Jeremia erging: Stell dich an das Tor des Hauses des Herrn! Dort ruf dieses Wort aus und sprich: Hört das Wort des Herrn, ganz Juda, alle, die ihr durch diese Tore kommt, um dem Herrn zu huldigen. So spricht der Herr der Heere, der Gott Israels: Bessert euer Verhalten und euer Tun, dann will ich bei euch wohnen hier an diesem Ort. Vertraut nicht auf die trügerischen Worte: Der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn, der Tempel des Herrn ist hier! Denn nur wenn ihr euer Verhalten und euer Tun von Grund auf bessert, wenn ihr gerecht entscheidet im Rechtsstreit, wenn ihr die Fremden, die Waisen und Witwen nicht unterdrückt, unschuldiges Blut an diesem Ort nicht vergießt und nicht anderen Göttern nachlauft zu eurem eigenen Schaden, dann will ich bei euch wohnen hier an diesem Ort, in dem Land, das ich euren Vätern gegeben habe für ewige Zeiten. (Jer 7,1-7)
Ohne Gegenwart Gottes hat das Heiligtum keinen Sinn. Jeremia fordert im Namen Gottes die Bekehrung der Herzen. Die Treue zum Bund verwirklicht sich, indem man das Gesetz befolgt und im Gehorsam gegenüber dem Gesetz die Gegenwart Gottes ehrt: mit Wort und Tat, mit dem ganzen Lebensstil.
Wenn das Volk nicht gemäß dem Bund lebt, hat das Versprechen eines Landes keine Grundlage mehr für die Zukunft. Die reale politische und militärische Gefahr trägt für Jeremia auch eine geistliche, religiöse Komponente.
Dennoch offenbart sich Gott als treu. Er nimmt sein Versprechen nicht zurück, denn es ist für immer gegeben. Zunächst jedoch soll das Wort Gottes den Menschen zurückführen zu seinen eigenen Möglichkeiten, um die eigene Lebenswelt und all seine Beziehungen menschlicher zu gestalten.
Jeremia, Prophet der Hoffnung
Aber wie viele lassen sich durch die Worte des Propheten berühren? Wenige.
Im Anblick seines Misserfolges wird Jeremia völlig entmutigt. Wie kann man unter diesen Umständen weiterhin Vertrauen haben in die Kraft und den Beistand Gottes?
Er macht alles, was er kann. Seine Worte sind zutreffend. Aber (fast) niemand will auf ihn hören. Jeremia muss erkennen, dass die Menschen keine Lust und kein Interesse haben, sich Gott wieder zuzuwenden. Dennoch resigniert er nicht. Fatalismus ist niemals angebracht. Im Vertrauen auf die Liebe Gottes kann man neue Kraft schöpfen.
Stichwort Prophet Dieses Wort aus dem Griechischen bedeutet: derjenige, der spricht im Namen Gottes, des Herrn. Er ist nicht derjenige, der die Zukunft vorhersagt, auch nicht in der Geschichte des Alten Testaments. Der Prophet schreitet vielmehr ein, um das Volk an seine Berufung zu erinnern, seiner Würde als Volk Gottes entsprechend zu leben. In Zeiten der politischen Krisen, angesichts von Revolten, Eroberungen, Spaltungen und der Teilung des Reiches wird die Rolle des Propheten immer wichtiger. Sogar in Zeiten des Exils, als das Volk deportiert war, wird das Wort Gottes durch Propheten weitergegeben und bewahrt. So bleibt es im Bewusstsein des Volkes als ein Unterpfand des Bundes, der das zerstreute Volk wieder vereinen will. Welche Propheten gibt es in der Bibel? Samuel, Nathan, Elia … Manche haben Schriften hinterlassen. Die Bibel kennt Bücher, die ihre Namen tragen: Jesaja, Jeremia, Ezechiel, Daniel und dann zwölf weitere: Amos, Hosea, Micha, Zefania usw. Im Jahr 598 v.Chr. fällt schließlich auch Jerusalem in die Hände der Babylonier. Die Stadt wird geplündert und zerstört. Die Bewohner werden verschleppt. In dieser tiefsten Verzweiflung, die Jeremia noch miterlebt, hält er fest an einer Botschaft der Hoffnung: Ich will euch eine Hoffnung und eine Zukunft geben. (Jer 29,11) |
Propheten heute
Wenn alles schlecht ist oder alles gut zu gehen scheint, gibt es jemanden, der ein starkes Wort ergreift. Das ist, als wollte jemand andere aufwecken und sie dazu bringen, auch Unakzeptables wahrzunehmen. Im Namen des Glaubens, der sie inspiriert, zeigen sie das Leiden der Menschen auf und wie die Menschlichkeit zerstört wird.
- Jede Form von Diskriminierung – sozial oder kulturell – die aufgebaut ist auf Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, sozialen Bedingungen, Sprache oder Religion, muss vorübergehen und beseitigt werden, weil sie dem Plan Gottes widerspricht. (vgl. II. Vatikanisches Konzil)
- Wenn man an die Formen von Eigentum denkt, muss man immer in Betracht ziehen, dass sie zum Wohl aller bestimmt sind. Deshalb kann der Gebrauch von Dingen, die jemand legal allein besitzt, auch dazu bestimmt sein, dem Gemeinwohl zu dienen. In diesem Sinn soll nicht nur ein Einzelner profitieren, sondern auch andere. (vgl. II. Vatikanisches Konzil)
- Dort, wo die Menschen verurteilt sind, im Elend zu leben, werden die Menschenrechte pervertiert. Sich zu vereinen, damit sie respektiert werden, ist eine heilige Pflicht. (Joseph Wresinski, 1917-1988)
- Gemäß christlichem Denken hat der Körper einen Sinn. Das physische und materielle Wohlergehen betrifft uns. Wenn Jesus sagt, dass der Mensch nicht nur vom Brot allein lebt, sagt er nicht, dass der Mensch ohne Brot leben soll. Unsere Wohnstatt im Himmel ist deshalb auch unsere Wohnstatt in den Vororten und in den Ghettos, wo die menschliche Seele zerstört wird; nicht nur in himmlischen Sphären, wo Milch und Honig fließen, sondern auch bei den Millionen Menschen, die auf der Erde hier leben und jeden Tag hungrig zu Bett gehen.
(Martin Luther King, 1929-1968)
- Wenn du an die Grenzen der Erde gehst, findest du die Spuren Gottes. Wenn du tief in dein Inneres gehst, wirst du Gott selbst dort finden. (Madeleine Delbrêl, 1904-1964)
- Wenn ich an die Zukunft denke, wünsche ich mir den Fortschritt der Menschenrechte. Doch machen mich einige Entwicklungen traurig. Unser Zeitalter ist sicherlich markiert durch einen Atheismus, der zutiefst entmutigend ist. Für viele Menschen hat das Leben keine Perspektiven. Sogar wissenschaftliche und technische Fortschritte haben manchmal eine radikal individualistische, nicht solidarisierende Haltung gefördert. Ein Teil des Geheimnisses, das um die Natur und den Menschen existiert, scheint verschwunden zu sein, und man glaubt, alles beherrschen zu können.
(Xavier Le Pichon, Wissenschaftler)
Es ist gut!
Gott sagt: Es soll Wasser entspringen aus lebendigen Quellen.
Und Gott hat es gemacht!
Gott segnet und spricht: Seid fruchtbar und mehret euch.
Nehmt das Wasser in euch auf!
Vom Abend zum Morgen, fünfter Tag, das ist gut!
Und der Mensch sagt auch: Es ist gut!
Das Wasser ist ja nützlich, um als Mistkübel zu dienen.
Der Fluss ist gut, man kann alles Mögliche hineinleiten.
Die Fische können ruhig sterben.
Es ist auch nicht schlimm, wenn die Vögel sterben,
die aus diesem vergifteten Wasser trinken,
so sagt der Mensch.
Wenn es keine Fische mehr in den Flüssen gibt,
keine Vögel mehr am Himmel,
keine Tiere mehr auf der Erde,
sagt der Mensch damit eigentlich:
Wir gestalten eine Wüste nach unserem Bild.
(nach Jean Debruynne)
ZUR VERTIEFUNG
Um auf die Propheten unserer Zeit zu hören
Was sagen Sie zu den Aussagen von „Propheten heute“ (siehe oben)? Macht Sie etwas betroffen? Was denken Sie dazu?
Glauben Sie, dass man auch in den Medien prophetische Menschen findet? Woran erkennen Sie diese?
Glauben Sie, dass das Christentum und andere religiöse Traditionen eine prophetische Botschaft haben, um sie im Namen Gottes zu überliefern? Welche?
Ein liturgisches Symbol der Taufe: die Salbung mit Öl
Während der Feier des Sakramentes der Taufe wird die Salbung mit Öl (mit Chrisam) begleitet durch die Worte: Gott bezeichnet dich durch die Salbung des Heils, damit du Teil am Leib Christi wirst, Priester, Prophet und König zum ewigen Leben.
Der Neugetaufte antwortet: Amen, ich glaube.
Jesus hat in seinem Leben diese drei Aspekte realisiert: als
- Priester, der Gott anbetet,
- Prophet, der das Evangelium verkündet,
- König, der Anteil nimmt am Kommen des Reiches Gottes.
Woran denken Sie, wenn Sie hören, dass alle Christen berufen sind, Propheten zu sein?
Wie kann man heute prophetische Haltungen im Alltag verwirklichen?
GEBET
Johannes, der Täufer, ist der letzte Prophet, der Christus ankündigt.
Gott, du hast die Welt angenommen
in ihren Ängsten und Zweifeln, die jede Hoffnung töten.
Gelobt seist du, Johannes, der Täufer,
der du für uns heute noch rufst,
für das klare Zeugnis deiner Worte,
das in unsere Städten und Wüsten widerhallt.
Ihr Echo und ihre Wirkungen bezeugen,
dass der Messias ganz nahe ist, Christus:
stets nahe jedem,
die unendliche Liebe,
die niemand von uns wegnehmen kann.
Jesus Christus, du bist Leben:
Möge der Heilige Geist in unserer Mitte
die Stimmen verstärken, die dich ankündigen.
Du bist der Retter, das Licht der Welt.
Du, der du kommst, um mit uns ein neues Reich aufzubauen.
Möge dein Geist in uns sein,
damit wir die Frohe Botschaft den Armen bringen,
damit wir heilen und die gefesselten Herzen befreien.
Erfülle uns mit deinem Heil,
damit dein Licht über uns ausstrahlt und über alle Völker.
(nach: Prière par une personne handicapée, Nr. 102, Juni 1988)