Jugendpastoral zwischen Evangelisierung und Lebenshilfe
Einleitung
Eine der am meisten zitierten Stellen im Apostolischen Schreiben Evangelii gaudium (2013, Nr. 20 und 49) ist, dass die Kirche an die Ränder der Gesellschaft gehen muss. Kein Papst vor Franziskus hat so deutlich betont, dass der Platz der Kirche bei den Benachteiligten, bei den Armen ist.
Wenn sich die Kirche den Menschen am Rand zuwendet – was heißt das für die Jugendpastoral? Inwiefern ist z. B. Jugendsozialarbeit, die Arbeit mit Straßenkindern, sexuell ausgebeuteten Kindern und Jugendlichen … Jugendpastoral? Wie ist die Antwort kirchlicher Jugendpastoral auf die Not unbegleiteter muslimischer Flüchtlinge, die nach Europa drängen? Was bedeutet Evangelisierung Jugendlicher im Kontext einer säkularisierten Gesellschaft? …
In meiner Zeit als Provinzial der Salesianer Don Boscos (SDB) in Österreich hatte ich die Möglichkeit, Einblick in die pastorale Arbeit unserer Ordensgemeinschaft weltweit zu gewinnen. – Auch in unserer Provinz in Österreich gibt es eine große Vielfalt. Ich erlebe fast täglich diese Spannung zwischen der Sorge um die ärmsten Jugendlichen einerseits – und dem Auftrag andererseits, jungen Menschen das Evangelium zu verkünden, sie zu Jüngern zu machen, sie zur Heiligkeit zu führen.
Wie passt das zusammen?
Wo die Salesianer Don Boscos und ihre Mitarbeiter/-innen tätig sind
Am besten spiegelt sich die Vielfalt unserer Zielgruppen in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern der Salesianer Don Boscos weltweit wider:
Während in Afrika und Lateinamerika große Projekte für Straßenkinder durchgeführt werden, gibt es anderswo viele Schulen. In Indien sind die Salesianer Don Boscos z. B. der größte Träger von Berufsbildungswerken nach dem Staat. – Der Schwerpunkt Berufungspastoral und die Arbeit mit jugendlichen Animatoren ist vor allem in Italien, aber auch in Polen, in der Slowakei, in Kroatien ein Thema – und ebenso in Österreich. – In Deutschland arbeiten die Salesianer Don Boscos mit der staatlichen Jugendwohlfahrt eng zusammen. - Weltweit ist derzeit die Salesianische Jugendbewegung im Wachsen, auch in Bosnien.
Das ist alles sehr bunt, sehr unterschiedlich. Die Frage stellt sich, wie ein pastorales Konzept ausschauen könnte, das alle diese Bereiche insgesamt umfasst.
Um dies im Kontext zu verstehen, möchte ich auf die Anfänge der salesianischen Jugendarbeit zurückzugehen, zu dessen Gründer Johannes Bosco, und wie er es verstand, Lebenshilfe und Glaubensverkündigung miteinander zu verbinden.
Die Ursprünge der salesianischen Jugendpastoral
Geboren 1815, selber vaterlos aufgewachsen, begegnet Johannes Bosco in Turin der Not von Straßenkindern des 19. Jahrhundert: keine Betreuung, kein Zuhause, keine Arbeit. Als er im Jahr 1842 als junger Priester das Gefängnis der Stadt Turin besucht, hat er ein Schlüsselerlebnis: 11-, 12-jährige Kinder sind hier mitten unter erwachsenen Kriminellen. Don Bosco ist entsetzt, dass dem Staat keine bessere Antwort auf das Herumlungern, auf die kleinen Diebstähle und Übergriffe der verlassenen Kinder einfällt. Auf dem Heimweg sagt er zu seinem priesterlichen Begleiter Don Cafasso, der auch Gefangenenseelsorger war: „Wenn sie einen Freund gehabt hätten, würden sie nicht im Gefängnis sein.“
Ab diesem Moment wächst in Don Bosco der Gedanke, ein solcher erwachsener Freund zu werden. Er holt am Sonntag Nachmittag die Straßenkinder von Turin zusammen, spielt mit ihnen, gibt ihnen zu essen, betet mit ihnen; er sucht ein Haus für sie, wo man sich treffen kann; er ermöglicht ihnen eine Ausbildung; er baut eine Kirche, ein Internat und – was in diesem Zusammenhang fast ein wenig skurril klingt – er gründet mit den Tüchtigsten von ihnen im Jahr 1859 eine Ordensgemeinschaft, die „fromme Gesellschaft des heiligen Franz von Sales“, kurz: die Salesianer.
Was waren seine Grundüberzeugungen?
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Jeder einzelne Jugendliche ist es wert, geliebt zu werden.
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Alle Jugendlichen lieben Freude, Bewegung und Spiel.
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Sie brauchen Erwachsene, die sie begleiten, fordern und fördern.
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In jedem Jugendlichen verbirgt sich ein großes Potential, das man nur heben muss.
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Sie brauchen eine Gemeinschaft, eine „Familie“, um zu wachsen.
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Erst der Glaube an Gott und eine aktive Glaubenspraxis lassen das Leben gelingen.
Die Pädagogik der Vorsorge: unterschiedliche Zielgruppen, aber eine Sendung
Don Bosco entwickelte mit seinen Mitarbeitern und Jugendlichen ein Erziehungssystem, das er „Sistema preventivo“, das „Präventivsystem“, die Pädagogik der Vorsorge nannte – in Abgrenzung zum damals üblichen „Repressivsystem“, das mit Vorschriften, Drill und Strafen arbeitete. Glaube und Religion sind darin der verbindende Horizont, die klare Orientierung und die starke Kraftquelle.
Für Pädagogen ist es vielleicht nebensächlich, für uns Salesianer Don Boscos (und vielleicht auch für Pastoraltheolog/innen) aber umso bedeutsamer: Die Pädagogik der Vorsorge ist nicht nur ein Erziehungsmodell, sondern auch ein Spiritualitätskonzept für Jugendliche. Es geht nicht nur um pädagogische Begleitung – es geht auch um die Hinführung junger Menschen zu Gott und zum Glauben. Das ist aber nicht denkbar ohne das Wirken der Gnade, ohne den Heiligen Geist, der das Herz der Jugendlichen berühren und verändern kann. So ist die Pädagogik der Vorsorge ein Pastoralkonzept, das den Erzieher nicht nur als Pädagogen, sondern auch als Christen auf seinem Glaubensweg herausfordert.
In dieser Vielfalt von Arbeitsfeldern, Modellen, und Maßnahmen gibt es einige Elemente, die überall gleich sind: das sind so etwas wie grundlegende „Prinzipien“ der salesianischen Jugendpastoral.
Die Pädagogik der Vorsorge beruht auf drei Säulen,
auf drei Grundhaltungen, die schon Don Bosco formuliert hat: Vernunft, Religion und Liebenswürdigkeit.
Vernunft:
Die Jugendlichen sollen verstehen und einsehen, was der/die Erzieher/in verlangt, auch wenn es um Grenzen geht, die nötig sind. Don Bosco plädierte für eine gewaltlose Erziehung. Jederzeit sollte die Würde des jungen Menschen gewahrt bleiben. Einer seiner bedeutsamsten Grundsätze war: „In jedem jungen Menschen gibt es einen Punkt, an dem er für das Gute ansprechbar ist. Es ist die Aufgabe des Erziehers, des Seelsorgers, ihn zu finden und diese empfindsame Saite zum Schwingen zu bringen.“
Religion:
Der Glaube hat eine zentrale Bedeutung für ein erfülltes Menschsein. Die Jugendlichen sollen erfahren, dass Gott sie liebt, dass sie eine Beziehung zu Jesus, aufbauen können. Sie sollen lernen, Gott im Gebet zu danken. – Erzieher/innen und Seelsorger/innen sind ihnen Begleiter und Vorbild auf diesem Weg.
Liebenswürdigkeit (amorevolezza):
Es ging Don Bosco um die konkrete, sichtbare und spürbare Liebe. Amorevolezza ist die Grundhaltung des Erziehers den jungen Menschen gegenüber. Er soll nicht nur von Liebe reden, sondern sie ihnen spürbar machen. Don Bosco trat ein für eine Beziehungspädagogik, bei der die Erzieher mitten unter den Jugendlichen sind, ihre Interessen kennen und ihre Freizeit teilen.
Die Pädagogik Don Boscos braucht Rahmenbedingungen
„Das oratorianische Prinzip“: Das Wort „oratorianisch“ verweist auf das erste Werk Don Boscos in Turin, auf das „Oratorium“. Es ist der Prototyp und damit das Modell für alle salesianischen Werke, auch heute noch. Das Oratorium war für die Jugendlichen Heimat, Schule, Spielhof und Kirche zugleich. – Denselben Anspruch stellen wir Salesianer noch heute an unsere Werke: dass jedes dieser vier Elemente dort zu finden ist. Z.B. wird es weltweit praktisch keine salesianische Niederlassung geben, die keinen Spielhof hat.
Inhaltlich bedeuten diese vier Dimensionen: dort, wo Menschen im Geist Don Boscos arbeiten, müssen Kinder spielen können, da müssen sie etwas lernen können für das Leben; dort sollen sie sich angenommen fühlen und eine Antwort bekommen auf die Frage nach dem Sinn des Lebens.
Somit ist ein erstes Ergebnis: Auch wenn die Jugendpastoral Don Boscos ganz unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen im Blick hat (die Spannung reicht von 12-jährigen Kindern mit Drogenerfahrung bis hin zu jungen Erwachsenen, die über eine geistliche Berufung nachdenken), entfaltet sie sich doch aus einigen gemeinsamen Quellen:
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Die eine Gründerfigur: Don Bosco.
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Eine Sendung: Es ist Jesus, der Gute Hirte, der uns zu den Jugendlichen sendet, um ihnen das Reich Gottes spürbar und erfahrbar zu machen; und es ist die Liebe des Guten Hirten, die sich durch uns ihnen zuwendet.
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Die Zielgruppe sind alle Jugendlichen, wobei für uns Salesianer der Vorzug der „armen“ Jugendlichen durch unsere Konstitutionen (K 2) festgelegt ist.
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Ein klarer Auftrag: Evangelisierung unter der Jugend. In unserem neuen „Leitfaden für die Salesianische Jugendpastoral“ (Rom 2014 – Abkürzung: LF) heißt es ganz klar: „Evangelisieren und Erziehen ist unsere apostolische Identität“. Damit nehmen wir teil am Auftrag der Kirche.
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Ein Erziehungsziel für alle: „Ehrenwerte Staatsbürger und gute Christen“ – so hat es schon Don Bosco formuliert. Heute würden wir vielleicht ergänzen: „Das Leben in Fülle und das Glück des Menschseins“ (LF 58).
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Ganzheitliche Erziehung für jede/n – angefangen beim Angebot eines Hauses und einer warmen Mahlzeit für ein Straßenkind bis hin zur „Königsfrage“: Was ist deine ganz persönliche Lebensberufung?
Unsere heutige Mission: „Erziehend evangelisieren und evangelisierend erziehen“ – das Verständnis der Salesianer Don Boscos von Evangelisierung
Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist Evangelii Nuntiandi (EN), das Apostolische Schreiben Papst Pauls VI., 1975. Hier finden sich z. B. folgende signifikanten Aussagen: „Evangelisieren ist die Gnade und die eigentliche Identität der Kirche.“ (14) „Die Verkündigung muss vor allem durch das Zeugnis (von Einzelnen, von Gruppen) erfolgen.“ (21) „Das Zeugnis des Lebens ist niemals ausreichend, wenn es nicht durch eine klare und eindeutige Verkündigung unsere Herrn Jesus Christus entfaltet wird.“ (22)
Unter diesem Anspruch steht auch unsere Jugendpastoral: Vom Zeugnis des Lebens bis zur eindeutigen Verkündigung Jesu Christi. Dabei ist immer darauf zu achten, wo die Jugendlichen stehen, wie in EN 79 ausgeführt ist: Es ist ein Zeichen der Liebe des Verkünders, „Respekt zu haben vor der religiösen und geistlichen Lage der Menschen, die man evangelisiert, Respekt vor ihrem Lebensrhythmus, ihrem Gewissen und ihren Überzeugungen, die man nicht brüskieren soll.“
Dieses wichtige Dokument in Verbindung mit dem Beispiel unseres Gründers bietet den Hintergrund für unsere Arbeit.
Lebenshilfe und Wortverkündigung
Im Folgenden möchte ich diese beiden Pole – Lebenshilfe und Wortverkündigung – beleuchten. Wie lässt sich dieser Ansatz praktisch umsetzen? Ich beziehe mich dabei vor allem auf Werke in Österreich und Deutschland.
Evangelisierung und ungetaufte, kirchenferne und andersgläubige Jugendliche
Viele uns anvertraute Kinder und Jugendliche sind ungetauft, andersgläubig, minderjährige Flüchtlinge. (In manchen Ländern oder Kontexten, wie z.B. in unseren Werken in Istanbul oder in Marokko, ist es strikt verboten, in der Schule über den christlichen Glauben zu sprechen. Hier ist unsere Jugendpastoral vor allem ein rein diakonisches Angebot.)
Als konkretes Beispiel verweise ich auf unsere Arbeit im Berliner Stadtteil Marzahn. Die Zielgruppe dort sind Jugendliche, die mit Maßnahmen der staatlichen Jugendwohlfahrt kaum oder nicht mehr vermittelt werden können.
Der „Leitfaden für die Salesianische Jugendpastoral“ gibt für diesen Dienst folgende Handlungsrichtlinien:
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Im Da-Sein für die Jugendlichen Gott, den liebenden Vater, spürbar werden lassen (63).
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Die Jugendlichen herausfordern, ihre Verantwortung dem Leben, dem Anderen, ihrer Berufung gegenüber wahrzunehmen (59).
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Sie spüren lassen, dass man ihre personale Würde anerkennt und dass sie zur Fülle des Lebens berufen sind (57).
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Durch das persönliche Zeugnis christlichen Glaubens den Weg zu Jesus Christus eröffnen (61, 63).
Das Problem und die Herausforderung bestehen in der Praxis meist darin, die Mitarbeiter/innen in den einzelnen Einrichtungen auf ihrem Glaubensweg so zu begleiten, dass sie zu diesem „Zeugnis des Lebens“ fähig sind.
Evangelisierung durch ein Leben in Gemeinschaft, Wortverkündigung und Liturgie
Jugendliche, die sich auf einem intensiveren Glaubensweg befinden oder dafür offen sind, fordern uns heraus zu einer „expliziten Verkündigung“. Wir setzen dabei weniger auf systematische Katechese, als vielmehr auf die Bildung einer Gemeinschaft, die informell bildet und fördert, wie z. B. die Salesianische Jugendbewegung. Sie setzt bei der konkreten Lebenswelt der Jugendlichen an, bei ihrer Freude an Gemeinschaft, Beziehung, Spiel, Bewegung; sie motiviert die Jugendlichen, Verantwortung zu übernehmen. Ein ausdrückliches Element dieser Jugendbewegung ist der Glaube, über den geredet wird, der gefeiert wird und der durch das Engagement in der Jugendbewegung gestärkt wird. Damit verbunden ist oft eine Mitarbeit in der Pfarre, ein bewusstes sakramentales Leben und die Einführung in ein Leben aus dem Wort Gottes. Die Erfahrung zeigt, dass ein guter Teil dieser Jugendlichen später einen pädagogischen oder kirchlichen Beruf ergreift.
In dieser Bewegung, die keineswegs streng organisiert ist, entwickelt sich eine eigene jugendliche Spiritualität, die durch fünf Elemente gekennzeichnet ist. Wir nennen sie die Salesianische Jugendspiritualität. Sie ist (a) verortet im Alltag des Jugendlichen und ist (b) bestrebt, die persönliche Beziehung zu Jesus zu vertiefen. Die Jugendlichen (c) sehen sich als Teil der Kirche, (d) nehmen ihre soziale Verantwortung wahr und (e) leben aus einer Freude, die durch die Auferstehung Jesu eröffnet wird.
Diese Bewegung „evangelisiert“ durch Wortverkündigung und persönliches Zeugnis wie auch durch Einladung zur Teilnahme und durch Gastfreundschaft („hosting“ ), z.B. bei verschiedenen landesweiten Jugendtreffen („Confronto“), im Sinn des Jesuswortes an die zwei Johannesjünger in Joh 2, 39: „Kommt und seht!“
Spezifika salesianischer Jugendpastoral
In meiner jahrelangen Arbeit als Salesianerpriester konnte ich in den verschiedensten Tätigkeitsbereichen Erfahrungen sammeln. Es gibt einige Begriffe, einige „Spezifika“, die mir besonders am Herzen liegen, und die hilfreich sind, damit junge Leute zu verantwortungsbewussten Menschen und engagierten Christen heranwachsen können.
Assistenz
Don Bosco hat 1884 seinen Mitbrüdern und den Jugendlichen im Oratorium in Turin von Rom aus einen Brief geschrieben. Seine Sorge war, dass viele Salesianer sich immer mehr von den Jugendlichen entfernt hatten. Er schrieb: „Wenn ein Lehrer nur Lehrer ist, vom Katheder herab, dann bleibt er Lehrer; wenn er aber die Freizeit mit den Jugendlichen teilt und bereit ist, sich ihre Sorgen anzuhören, dann wird er zum Freund.“ Er fordert die Salesianer darin auf, die Welt der Jugendlichen zu teilen, da zu sein, bei der Jugend zu sein. Wir nennen diese Haltung „Assistenz“ – im Sinn von intensiver personaler Begleitung. Hier wird deutlich, dass für Don Bosco die Beziehung zwischen Seelsorger und Jugendlichen im Mittelpunkt steht. Dieses „Da-Sein“ ist manchmal sehr herausfordernd.
Partizipation und Mitverantwortung
Ich erlebe immer wieder, dass Jugendliche gern bereit sind, Verantwortung zu übernehmen: für eine Gruppe, für eine Veranstaltung, für die Gottesdienstvorbereitung – wenn es ihnen zugetraut wird oder wenn sie von einer Sache fasziniert sind.
Das ist eine Zielrichtung der Pädagogik Don Boscos: dass die Jugendlichen die Protagonisten ihres eigenen Lebens werden sollen, in ihrem Umfeld, in der Gesellschaft, in der Kirche. Die besten Zeugen des Glaubens, die besten Vorbilder für die Jugendlichen sind: andere Jugendliche!
Nur wenn Kirche ein jugendliches Gesicht hat, ist sie attraktiv für junge Menschen. Unsere Aufgabe ist es, ihnen Mut zu machen, Verantwortung zu übernehmen: in der Gruppe, in der Pfarre, in der Gemeinde.
Religionssensible Erziehung
Für die Arbeit mit kirchenfernen oder ungetauften Jugendlichen sowie mit Jugendlichen, die sich zu einer anderen Religion bekennen, wurde im Jugendpastoralinstitut der Salesianer Don Boscos in Benediktbeuern der Ansatz der „religionssensiblen Erziehung“ entwickelt. Diese ist getragen vom Respekt gegenüber der Lebenssituation des Jugendlichen, vom Respekt gegenüber anderen religiösen Überzeugungen. Bei kirchenfernen Jugendlichen ist sie aufmerksam gegenüber Spuren von Religiösem, macht sie bewusst und bringt sie ins Wort.
In Deutschland und Österreich versuchen wir damit, in der Jugendwohlfahrt, in der Offenen Jugendarbeit und in den Projekten mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zu arbeiten und machen damit gute Erfahrungen.
Auch wenn hier der Dienst an den benachteiligten Jugendlichen im Vordergrund steht, bin ich fest überzeugt, dass hier Evangelisierung nicht in defizitärer Form, sondern im Vollsinn erfolgt.
Es ist der Dienst des Guten Hirten, der dem verlorenen Schaf nachgeht, dem Jugendlichen, der uns braucht, ohne zu fragen, welchen Glauben er mitbringt (siehe dazu das Buch: Martin Lechner /Angelika Gabriel, Brenn-Punkte – Religionssensible Erziehung in der Praxis. München, DBV 2011)
Gradualität
Das bringt die Gradualität ins Spiel. Jugendliche brauchen Zeit zu reifen, Erfahrungen zu sammeln, zu wachsen, Fehler zu machen und daraus zu lernen. Auch Glaube wächst, muss gelernt werden. Es ist nicht die Aufgabe des Seelsorgers, Dinge einzufordern, sondern vielmehr Geduld zu haben, Wachstumsprozesse zu fördern und sie mit dem Gebet zu begleiten.
Gradualität ist auch eine Kategorie, die Papst Franziskus in der Familienpastoral ausdrücklich ins Spiel bringt (vgl. Amoris laetitia 293-295; 305).
Erziehungs- und Pastoralgemeinschaft
Diese ist heute auf jene Atmosphäre hin orientiert, die Don Bosco gemeint hat, wenn er im Oratorium in Turin-Valdocco bei seinen Buben und Mitarbeitern über den „Familiengeist“ gesprochen hat.
Eine Erziehungs- und Pastoralgemeinschaft ist jene Gemeinschaft in einem Haus, einem Werk, an der alle teilhaben, deren Subjekte sie sind: die Pädagogen, der Leiter / die Leiterin, die Salesianer, die Jugendlichen, ja auch die Eltern der Jugendlichen. Indem jede/r die eigene Rolle erfüllt, wächst das Gefühl der Zugehörigkeit, der Verantwortung; Lernen geschieht durch Nachahmung, das gegenseitige Wohlwollen ist die Basis. Konflikte werden offen bearbeitet.
Eines der großen Probleme von Jugendlichen heute ist das Gefühl einer Heimatlosigkeit. Das Konzept der Erziehungs- und Pastoralgemeinschaft wirkt dem entgegen.
Am Schluss ein Wort von Papst Franziskus bei der Vigil am Samstag, dem 30. Juli 2016 auf dem Campus Misericordiae beim Weltjugendtreffen in Krakau an die Jugendlichen
Es war ein berührender Augenblick, als bei der Vigil auf dem Barmherzigkeitsfeld in Krakau mehr als eine Million Jugendlicher Lichter in den Händen hielten und sich ihrer Taufe erinnerten. An diesem Abend sprach der Papst starke Worte zu den Jugendlichen: „Die Zeit, die wir heute erleben, braucht keine Sofa-Jugendlichen, keine Jugendlichen, die die Bequemlichkeit suchen, sondern junge Menschen mit Schuhen an den Füßen. Gott erwartet etwas von dir, Gott will etwas von dir, Gott wartet auf dich. Er lädt dich ein zu träumen, er will dich sehen lassen, dass die Welt mit dir anders sein kann. So ist das: Wenn du nicht dein Bestes gibst, wird die Welt sich nicht verändern.“
Schöner könnte man das Anliegen Don Boscos für heute nicht formulieren.